Am Meer ist es wärmer
zwecklos gewesen wäre.
Erzählt hatte ich ihr nur, dass er verschwunden war. Richtiger wäre wohl gewesen, ihr gleich zu Anfang zu sagen, dass wir uns verliebt und geheiratet hatten, glücklich zusammen gewesen waren und aus diesem Grund sie bekommen hatten. Und dass wir auch nach ihrer Geburt bis zu Reis Verschwinden glücklich gewesen waren. Aber ich tat es nicht, denn ich war damals außerstande, mich mit anderen Gefühlen als meinen eigenen zu beschäftigen.
Als ich es endlich tat, war Momo acht Jahre alt. Aha, sagte sie nur. In der Mittelschule sprach sie mich zum ersten Mal darauf an.
»Damals..., weißt du Mama, als du mir alles erklärt hast, habe ich es nicht richtig verstanden. Ich fand es einfach nur gemein von Papa, dass er uns verlassen hat. Aber er war sowieso kaum zu Hause, also war es eigentlich egal, ob gemein oder nicht.«
»Habt ihr euch geliebt?«, fragte sie, als wir auf dem Felsen saßen.
»Ja.«
Geliebt. Ihre Wortwahl erstaunte mich. Der Wind wehte die Strähnen auf ihrer Stirn beiseite und entblößte ihre sanft geschwungenen Augenbrauen, die mich so sehr an Rei erinnerten.
»Wie wäre Vater denn, wenn er noch hier wäre...?«
»Tja... ich weiß nicht.«
»Aber du hast ihn doch gekannt.«
»Als Vater war er ein ganz anderer Mensch.«
Anders. Ein Ehemann und ein Vater waren also zwei verschiedene Wesen? Momo blinzelte. »Mir wird kalt. Gehen wir zurück?«
Das Taschentuch, auf dem wir gesessen hatten, war durch die Feuchtigkeit dunkler geworden. Momo und ich gingen Hand in Hand. Das hatten wir schon lange nicht mehr getan.
Ihre Hände waren kräftig. Fast so groß wie meine. »Es kommt nicht oft vor, dass wir über deinen Vater sprechen«, sagte ich auf dem Rückweg. Ich träumte noch immer nicht von Rei.
Auf dem Weg zurück ins Hotel folgte sie mir. Die Frau.
Auch beim Abendessen war sie da und bediente sich einfach an unserem Essen. Momos und meinem. Offenbar mochte sie Garnelen. Ständig nahm sie von der Platte mit den Meeresfrüchten in Tomatensauce. Solange noch etwas darauf war, konnte sie wieder und wieder zugreifen. In Wirklichkeit wurde der Teller mit den Garnelen nicht leerer, so oft sie auch zugriff. Die Frau konnte essen, so viel sie wollte.
»Hast du Hunger?«, fragte ich. Sie nickte.
»Ich kann noch jede Menge essen«, antwortete Momo.
Dich habe ich gar nicht gefragt, lag es mir auf der Zunge, aber ich sprach es nicht aus. Momo war ein wohlerzogenes Mädchen, das Antwort gab, wenn es gefragt wurde. Ich lächelte ihr zu. Die Frau verzog leicht abschätzig das Gesicht.
Ich erstarrte für einen Moment, als hätte mich ein Stromschlag getroffen.
Gleich darauf spürte ich, wie Wut in mir aufstieg. Die Frau ergriff die Flucht. Ich gestattete es nicht, dass jemand sich zwischen Momo und mich schob.
Am Strand waren wir einander näher gekommen. Momo und ich. Ich war ihr so gerne nah. Umgekehrt war es nicht so. Momo zog sich von mir zurück. Dann näherte sie sich wieder ein bisschen, um sich gleich wieder zu entfernen. Ob sie sich dieses Wechselspiels nun bewusst war oder nicht, sie machte es sehr geschickt.
Diese Wachsamkeit gegen Eindringlinge von außen hatte ich erst nach Momos Babyzeit entwickelt. Damals hätte sich sowieso nichts zwischen sie und mich drängen können, ganz gleich, ob ich es gestattete oder nicht. Wir waren ohnehin vierundzwanzig Stunden am Tag unzertrennlich. Was keineswegs immer ein Vergnügen war. Sondern anstrengend. Ich war ständig auf dem Sprung, wie ein Tier, das auf etwas lauert. Pausenlos war ich in Bewegung, aber keine meiner Bewegungen war nach außen gerichtet. Ich stillte, kochte, putzte, wischte, hängte Wäsche auf und faltete sie zusammen. Und immer mit diesem lauerndem Blick.
»Irgendwas ist vorbeigekommen«, sagte Momo.
»Was denn?«
»Vielleicht ein Flugzeug.«
Nicht die Frau. Momo sah in den Himmel. Der runde Tisch, an dem wir saßen, stand am Fenster, vor dem sich nur Meer und Himmel erstreckten. Ab und zu kam der Kellner, um nachzusehen, ob schon einige der Platten leer waren.
»Hat gut geschmeckt«, sagte Momo zu ihm, als er abräumte. Danke. Er wirkte erfreut. Wieder erschien neben mir die Frau.
Kennst du Rei?, fragte ich die Frau. Momo schlief unter der sanft gewölbten Bettdecke neben mir. Ich konnte ihren Atem nicht hören. Nur beim Umdrehen seufzte sie ein bisschen.
Rei?, fragte die Frau zurück.
Meinen Mann.
Die Frau begleitete mich jetzt ständig: wenn ich Wasser in die Wanne laufen ließ, beim Fernsehen
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