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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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Duft. Dass ein Kind erwachsen wird, ist betrüblich. Nicht das heranwachsende Kind selbst, nein, sondern eher der Umstand des Erwachsenwerdens, des Wucherns an sich. Dabei wird auch viel Überflüssiges abgeworfen. Die Person selbst kann nichts dagegen tun. Ich verspürte Midleid. Sie war ja noch ein Kind und wusste von nichts.
    Ob ihr Wachstum mich deshalb so beunruhigte? Dieses körperliche und emotionale Wuchern. Auch schwangere Frauen haben dieses Beunruhigende an sich. Ich hatte es sogar an mir selbst empfunden, als ich mit Momo schwanger war.
    In Atami machten wir eine Menge Fotos. Die Frau war mir nicht weiter gefolgt. Ab Yugawara war plötzlich nichts mehr von ihr zu sehen. Auch Reis Präsenz hatte sich verflüchtigt. Momo lachte auf jedem Bild.
    »Irgendwie künstlich.« Sie deutete auf ihr Gesicht.
    »Aber du siehst glücklich aus.«
    »Wenn sie lacht, sieht sie genau aus wie du, Kei«, sagte meine Mutter.
    Auf der Rückfahrt kamen wir wieder durch Manazuru, und ich schaute aus dem Fenster.
    Es war bewölkt. Obwohl in Atami die Sonne geschienen hatte.
    Etwas Unheimliches lag über dem Ort. Seine Bewohner merkten nichts davon. Nur die Reisenden.
    »Den nächsten Ausflug machen wir aber zu dritt«, sagte ich und warf meiner Mutter einen Blick zu. Sie sah mich mitleidig an. Für sie war ich das ahnungslose Kind.
    Wenn ich mich mit Seiji treffe, bin ich immer ein bisschen aufgeregt. Obwohl wir schon so lange zusammen sind.
    »Ich war mit meiner Tochter verreist«, erzählte ich ihm.
    »Hattet ihr schönes Wetter?«
    »Teils, teils.«
    Während ich neben ihm herging, redete ich vor lauter Aufregung eine Menge belangloses Zeug. Ich kann nicht gut sortierten, was ich erzählen soll und was nicht. Ich bin wie ein großmaschiger Korb, aus dem alles, was man hineinpackt, wahllos herausfällt.
    »Wenn ich mit dir zusammen bin, werde ich immer schläfrig«, hatte Seiji einmal zu mir gesagt.
    »Heißt das, ich bin eine Langweilerin?«, fragte ich beunruhigt.
    »Nein, ich meine nur, dass ich tief und ruhig schlafen kann, wenn wir zusammen sind.« Er lachte.
    Manchmal fand ich mich alt. Zehn Jahre war es her, seit ich Seiji kennengelernt hatte. Für jeden von uns war die gleiche Zeit vergangen, dennoch alterten wir verschieden. Seijis und meine Zeit verliefen getrennt. Ihr Fluss war ein anderer.
    »Aber im Grunde passt es.«
    »Was passt?«, fragte Seiji.
    »Das Ganze.«
    »Ja?«
    Seiji fragte nicht weiter nach. Was das Ganze sein sollte, wusste ich auch nicht. Das Ganze eben.
    »Ich habe versucht, dich anzurufen«, sagte er leise.
    »Wann denn?«
    »Als du in Manazuru warst.«
    »Ach?«, sagte ich überrascht. Offenbar hatte ich die Nachricht auf der Mailbox nicht bemerkt. Ich dachte an die Nacht im Hotel. Das Meer war so nah und schien sich dennoch bis in weiteste Ferne zu erstrecken. Wie wäre es gewesen, wenn ich dort Seijis Stimme gehört hätte?
    »Ich möchte es tun«, sagte ich.
    »Ja, heute schlafen wir zusammen«, antwortete Seiji.
    Unsere nebeneinanderliegenden Körper strahlten Wärme ab.
    Bevor wir begannen, verspürte ich den Impuls, ihm auszuweichen - sowohl gefühlsmäßig als auch körperlich.
    Ich wollte nicht anfangen. Noch ein wenig.
    »Komm«, sagte Seiji. Ich drängte mich näher an ihn heran. Sobald ich seine Haut berührte, dachte ich nicht mehr an Flucht.
    Seijis Handflächen sind weich. Gegen meine Finger, die anfangs noch etwas steif waren, fühlten sie sich umso weicher an. Aber dann entspannte auch ich mich. Das Blut, das in meinem Körper stockte, geriet in Bewegung und strömte bis in seine äußersten Spitzen.
    Schön, flüsterte ich. Bei Seiji konnte ich mich mit Worten ausdrücken. Bei Rei hatte ich das nicht gekonnt.
    Als wir uns umarmten, bekam ich das Gefühl, nur noch aus Konturen zu bestehen. Meine Konturen streiften Seijis Konturen. Nur der Inhalt dieser Konturen, die fast verschmolzen, es dann aber doch nicht taten, vermischte sich, wurde glatt gerührt und noch einmal vermischt. Währenddessen fühlte ich mich weniger aufgelöst als danach. Eine Weile - ungefähr fünf Minuten - konnte ich mich nicht bewegen.
    Als ich so da lag, hörte ich ein Rauschen wie vom Meer.
    »Was ist das?«, fragte ich. Seiji legte den Kopf schräg.
    »Vielleicht das Anfahren eines Autos?«, fragte er zurück.
    »Wieso von einem das abfährt und nicht von einem das ankommt?«
    »Ankommen klingt forscher, oder?«, sagte er und bettete seine Wange auf das Laken.
    Er ist ein Mensch, der Dinge sagt, die die

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