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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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Sonntag. Als du im Kino warst.«
    »Das war doch dienstlich«, murmelte ich schuldbewusst. Meine Mutter lachte wieder. »Du kannst doch ins Kino gehen, sooft du Lust hast.«
    Etwas in mir verkrampfte sich, wenn ich mit meiner Mutter über Rei sprach. Denn sie sah ihn, den Mann, mit dem ich verheiratet war, aus einer Art Froschperspektive. Damit will ich gar nicht sagen, dass sie voreingenommen war. Sie weigerte sich nur, ihn als Person wahrzunehmen. Stattdessen sah sie ihn durch eine Linse, die ihn von oben bis unten verzerrte. Ihre Abneigung war nicht so groß, dass sie den Blick hätte abwenden müssen. Oder ihn anstarren. Aber sie legte Wert darauf, dass ihr Bild von ihm möglichst verschwommen blieb.
    Ähnlich war es mit meiner Arbeit. Aber Arbeit war eben Arbeit. Sie war vielleicht so etwas wie das Salz oder das Wasser, das man auf den Kamidana, den Hausaltar, stellt. Die Opfergaben waren zwar da, aber da sie zum Gebrauch bestimmt waren, wurden sie bald unsichtbar, sozusagen körperlos.
    Aber Rei hatte einen Körper, und das machte es für meine Mutter so schwer.
    »Kaulquappen? Jetzt schon?«, fragte ich. »Ist es nicht noch zu kalt?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nur Laich. Du weißt schon, diese gelatineartigen Schnüre mit den vielen schwarzen Punkten. Momo sagt, sie hat zum ersten Mal welche gesehen.«
    Die Universität lag etwa zwanzig Minuten zu Fuß von uns entfernt. Neben den Tennisplätzen gab es einen Teich. Dabei fällt mir ein, dass Rei und ich vor unserer Hochzeit dort öfter spazieren gegangen sind. Es ist ein kleiner Teich, von ungepflegtem Gebüsch umgeben. Von seinem Ufer aus konnte man die Tennisplätze nicht sehen. Nur das Schlagen der Bälle klang unerwartet laut und nah. Unter den Büschen hatte Rei mich oft geküsst und meinen Namen geflüstert - Kei.
    Die Wasseroberfläche kräuselte sich zu jeder Jahreszeit.
    Als es wärmer geworden war, brachte Momo ein Einmachglas mit etwa zehn Kaulquappen mit nach Hause.
    »Wasser«, murmelte sie, während sie das Glas gegen die Sonne hielt. »Was da alles drin rumschwimmt.«
    Ich näherte mein Gesicht dem ihren und schaute ebenfalls in das Glas. Feine algenartige Teilchen, graue Fussel und Erdpartikel schwebten darin. In dem auf den ersten Blick so klaren Wasser schwamm wirklich alles Mögliche. Unter anderem zappelten mehrere Kaulquappen darin.
    »Stammt das Wasser aus dem Teich?«, fragte ich.
    Sie nickte. »Als ich es herausgeschöpft habe, sah es ganz sauber aus.«
    »Es ist doch sauber«, sagte ich. Momo starrte in das Glas.
    Am nächsten Morgen trieb eine der Kaulquappen tot an der Oberfläche, aber die übrigen schwammen noch ganz munter im Wasser. Ihre Schwänze sind so dünn, sagte Momo und lachte. So dünn und süß.
    Im Haus herrschte Stille. Momo war in der Schule, und meine Mutter schlief noch. Ich spülte das Geschirr und stellte es zum Abtropfen in den Ständer. Die kleinen Tropfen funkelten im Morgenlicht. Ob in ihnen auch so viele Teilchen schwebten? Man sah zwar nichts, aber bestimmt wimmelte es davon.
    Ebenso wie es manchmal um mich herum von Verfolgern wimmelte. Das geschah meist nicht an belebten Orten, sondern eher, wo keine Menschen waren. Dann folgten mir zwanzig oder dreißig auf einmal, um im nächsten Augenblick wieder zu verschwinden.
    Ich stellte mein Notebook auf den Esstisch und öffnete es, um zu arbeiten. Bis vor Kurzem hatte Momo das silberfarbene Gerät noch »den kleinen Silbernen« genannt. Ist es denn ein Junge?, hatte ich sie gefragt. Ja, sagte sie, wir haben ja sonst keinen Jungen im Haus. Damals war sie in der siebten Klasse gewesen. Seitdem sind kaum drei Jahre vergangen, und sie ist wortkarg geworden.
    Ich hatte vergessen, die Margarine in den Kühlschrank zu stellen. Sie stand schräg hinter dem PC, der Deckel halb offen. Als ich nach dem Behälter griff, um ihn zu schließen, fiel mein Blick durch den Spalt auf die weiche Margarine. Die hellgelbe Masse, sonst fest und kühl, war weich, und ich verspürte Lust, sie zu berühren, mit dem Finger hineinzutauchen und die Margarine davon abzulecken. Ich tat es nicht.
    Ich drückte den Deckel zu und stellte die Margarine in den Kühlschrank. Der Kühlschrank brummte.
    Als den Kaulquappen nacheinander Hinter- und Vorderbeine wuchsen, starben sechs von ihnen. Momo weinte. Ich wickelte die toten Kaulquappen, deren Schwänze schon verkümmert waren, in eine Mullbinde und begrub sie im Garten.
    »Es sind eben deine ersten Haustiere«, sagte meine Mutter und

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