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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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strich Momo über den Kopf. »Kei hat ja mal einen Hund gehabt. Damals haben wir eine Hundehütte gebaut. Aus Fertigteilen, das Dach haben wir rot gestrichen.« Momo hob den Kopf.
    Was denn für einen Hund?, fragte sie.
    Einen Mischling.
    Und wie hieß er?
    Jirō.
    Wie lange hattet ihr ihn?
    Bis vor etwa zwanzig Jahren.
    War er niedlich?
    Ja.
    Im Glas schwammen noch drei Kaulquappen. Sie hatten im Vergleich zu den sechs, die gestorben waren, lange Schwänze. Würden sie auch sterben, wenn sie ihre Schwänze verloren? Vielleicht füttern wir sie nicht richtig, sagte Momo und machte sich fertig zum Gehen. Ich frage mal in dem Zoogeschäft am Bahnhof. Vielleicht brauchen wir ein richtiges Aquarium.
    Dann gehen wir zusammen, ich muss auch einkaufen, sagte meine Mutter und machte sich ebenfalls bereit.
    »Ich möchte keinen Hund haben«, sagte Momo. »Ich hätte Angst, weil ein Hund so süß ist.«
    »Angst?«, fragte meine Mutter.
    »Ja, Angst, dass er verschwindet.«
    Meine Mutter schwieg. Auch ich schwieg. Mit gesenktem Kopf knöpfte Momo ihren Frühjahrsmantel zu. Wir sprachen zwar nicht ausdrücklich über Reis Verschwinden, aber in letzter Zeit mieden wir das Thema auch nicht mehr so geflissentlich. Jirō war ein kluger Hund gewesen. Er hatte genau gewusst, wann er bellen durfte und wann nicht. Sein Fell war nicht glatt, sondern eher rauh gewesen. Wenn man ihn streichelte, wedelte er mit dem Schwanz.
    Wir beerdigten die Kaulquappen im Garten. Die Erde war feucht und dunkelgrün. Sie gab nach und fiel auseinander, als ich mit der Schaufel darin grub.
    Das Jackett war dunkelgrün.
    Das Jackett, das Rei in dem letzten Sommer gekauft hatte, meine ich. Freitags haben wir jetzt einen krawattenfreien Tag, sagte er, auch das noch. Also gingen wir in ein Kaufhaus, um ein passendes Jackett zu kaufen. Rei suchte höchst ungern Kleidung aus. Seit unserer Hochzeit ließ er sich alles von mir aussuchen. Als ich ihn fragte, ob er bei Krawatten nicht irgendeine Vorliebe habe, schüttelte er den Kopf. Mir ist alles recht, sagte er, solange es kein Panther- oder Drachenmuster ist.
    Doch nun fragte er ausnahmsweise von sich aus, ob er vielleicht ein weißes Jackett nehmen solle. Wenn es farblich zu deinen Hosen passen soll, erwiderte ich, würde ich etwas Dunkles besser finden. Rei nickte sofort zustimmend.
    Im Nachhinein kam es mir jedoch so vor, als hätte er einen Augenblick lang gezögert. Was mir zuerst nicht aufgefallen war.
    Wir gingen nach Hause und entfernten das Preisschild. Ich hielt das Jackett neben eine seiner Hosen im Schrank und sagte, siehst du, die Farbe passt doch gut, oder? Rei sagte nichts. Ich glaubte, er habe mich akustisch nicht verstanden. Einige Male zog er das Jackett tatsächlich ins Büro an. Aber am Ende trug er wieder Anzug und Krawatte. Ungeachtet der Einführung des krawattenlosen Tages trug die Hälfte der Kollegen doch Krawatten. Ich bin einfach zu korrekt, brummte Rei.
    Als der Sommer vorüber war, verschwand er. Kurz zuvor hatte ich sein Jackett durchgesehen, da ich es zur Reinigung bringen wollte, und in der Brusttasche einen Zettel mit einer Zahl gefunden, die eine Uhrzeit hätte sein können - 21.00.
    Sie stand ganz klein in einer Ecke des Papiers, das etwa die Größe einer Visitenkarte hatte. Ich knüllte es zusammen und warf es weg.
    Nachdem feststand, dass Rei verschwunden war, ließ ich das Jackett noch etwa einen Monat in der Reinigung. Irgendwann entdeckte ich den Abholschein in meinem Portemonnaie und machte mich widerwillig auf. Als ich das Jackett entgegennahm, fielen mir die Zahlen - 21.00 - wieder ein. Ich bekam Herzklopfen.
    Mit hämmerndem Herzen stürzte ich aus der Reinigung ins Freie. Die Inhaberin schwitzte immer. Schon bevor es richtig Sommer wurde, entschuldigte sie sich ständig, sie könne die Klimaanlage nicht vertragen. Wahrscheinlich beschwerten sich die Kunden dauernd über die Hitze im Laden. Auch wenn der Sommer längst vorbei war, schwitzte die Frau. Sie roch auch ein wenig. Ich hängte das Jackett in die hinterste Ecke in den Schrank, ohne die Plastikhülle abzunehmen. Ich fasste es nicht mehr an, bis ich vor unserem Umzug zu meiner Mutter die Wohnung ausräumte.
    Noch immer grübelte ich darüber nach, was diese Zahlen auf dem Zettel zu bedeuten hatten. Doch meine Gedanken gerieten jedes Mal schnell in eine Sackgasse. Im Laufe der Zeit blieb immer weniger von Rei. Auch das Jackett hatte ich nach einigen Jahren weggeworfen. Und dennoch gab es noch genügend Dinge,

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