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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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Blitzschlag gewesen war oder nicht. Komm mit, sagte die Frau und winkte mit der Hand.
    Muss - ich - mitkommen? fragte ich laut und horchte, aber es kam kein Ton. Also hatte ich die Worte nicht mit meiner Stimme hervorgerufen, sondern nur in mir selbst.
    Kurz darauf ging das Licht wieder an, und beinahe im gleichen Augenblick drangen wieder Geräusche an mein Ohr. Es war ein Gewirr an Tönen, wie bei einem Radio, bei dem die Frequenz nicht richtig eingestellt ist, nur dass es um ein Vielfaches dichter war und ich darin eine Stimme erkannte.
    Rei. Das ist Rei, dachte ich. Schon war das Gewirr wieder verstummt. Nur die Frau war ganz deutlich zu hören.
    Kann ich zurückkommen?
    Natürlich.
    Hatte sie mich gefragt oder ich sie? Hatte sie geantwortet oder ich? Ohne unterscheiden zu können, ging ich mit der Frau davon. Ein Blitz zuckte in einem sauberen Zickzack über den ganzen Himmel bis ins Meer.
    Natürlich.
    Sagte eine von uns beiden noch einmal, und ich sah in den stürmischen Himmel.
    Es war ein weiter Weg.
    Zumindest kam es mir so vor, aber vielleicht war er gar nicht so weit.
    Wir gingen die Promenade am Meer entlang, die von großen Brechern überspült wurde. Wahrscheinlich hätten sie mich sofort mitgerissen, wäre die Frau nicht bei mir gewesen.
    »Der Regen hört gar nicht auf. Der Wind auch nicht«, sagte ich. Sie lächelte.
    Da, sagte die Frau und zeigte zurück. Als ich mich umdrehte, fiel das weiße Haus gerade in sich zusammen. Zuerst schienen seine Umrisse sich etwas auszudehnen, im nächsten Augenblick jedoch sackte es in sich zusammen. In Zeitlupe. Nicht das Dach brach zuerst ein, sondern das Fundament gab nach. Der obere Teil krachte als Ganzes horizontal herunter. Dabei bog sich auch das Dach, und im nächsten Moment war alles nur noch ein Haufen Schutt. Eine Staubwolke erhob sich, aber der starke Regen brachte sie sofort zum Verschwinden.
    »Aber da waren doch Leute drin«, sagte ich. Die Frau drückte einen langen Zeigefinger auf ihre Lippen.
    »Pscht«, machte sie. »Sieh hin.«
    Als ich gehorsam auf die Stelle blickte, war der Schutt mit einem Mal verschwunden.
    »Weg«, sagte ich, und sie nickte kurz.
    »Gehen wir.« Die Frau verflocht ihre Finger in meine. Die Wellen überspülten meine Füße. Manchmal gingen sie mir bis an die Hüfte oder die Schultern.
    Sie rissen mich fast mit, aber die Frau hielt mich fest.
    »Kann ich Rei sehen?«, fragte ich.
    »Weiß nicht«, antwortete sie kurz angebunden.
    Wir gingen weiter am Ufer der Halbinsel entlang. Währenddessen dachte ich an die unhöfliche Bedienung und das gelangweilt wirkende Paar in dem weißen Haus. Ob sie auch verschwunden sind, murmelte ich. Die Frau schüttelte den Kopf.
    »Wir sind es, die verschwunden sind«, sagte sie gleichmütig.
    »Momo«, schrie ich in die heranbrandende See. Ich hatte Momo vergessen. Aber nun fiel sie mir ein. Und jetzt, wo ich mich erinnerte, wollte ich zurück. Dorthin, wo das weiße Haus stand. Wo es die Frau nicht gab.
    Die Frau verstärkte den Druck ihrer Finger. Ich fing an mich aufzulösen. Eine besonders hohe Welle traf mich, und mir schwanden die Sinne.
    Doch sofort kam ich zu mir und spürte wieder den Regen und den Sturm am ganzen Körper.
    »Gehen wir auf das Schiff?«, fragte ich.
    »Es fährt nicht, wegen des Taifuns«, antwortete die Frau ungerührt.
    Eigentlich sollten wir an der Spitze der Halbinsel entlanggehen, aber auf einmal waren wir wieder am Hafen. Es war niemand zu sehen. Ob die festlich gekleideten Menschen irgendwo warteten, dass der Regen aufhörte? Aus der Ferne waren nur Flöten und Trommeln zu hören.
    »Die Geräusche sind wieder da«, sagte ich.
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, falsch.«
    Das sind Laute von hier. Nicht von dort, sagte sie ruhig.
    Ich verstand nicht, was sie meinte. »Und wenn schon«, sagte ich absichtlich leichthin. Ich hatte ohnehin nicht vor, an diesen seltsamen Ort zu kommen.
    Mein »und wenn schon« hörte ich ganz normal. Es war keine Stimme in meinem Inneren, sondern hatte einen realen Klang außerhalb meines Körpers.
    »Ich kann nicht weiter mitkommen, wegen Momo«, sagte ich.
    Die Frau machte ein zorniges Gesicht.
    »Willst du Rei denn nicht sehen?«, fragte sie mit gepresster Stimme.
    Also wusste die Frau doch über Rei Bescheid. Ich war erleichtert und verzagt in einem.
    »Weißt du überhaupt, was Rei für ein Mann war?«, fragte ich scharf. Ich würde mich nicht unterkriegen lassen.
    »Ein belangloser Mann«, antwortete sie

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