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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
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unbeeindruckt.
    Es stürmte. Der Wind war noch stärker geworden und wehte noch heftiger als zuvor. Im Hafen waren die Wellen noch recht niedrig, dennoch schlugen sie immer stärker gegen die Hafenmauer. Er war also ein belangloser Mann, dachte ich abwesend. Der peitschende Regen schmerzte auf meiner Haut.
    »Oh, du bist ja ganz nass«, sagte die Frau und lächelte dünn.
    Nun merkte ich, dass nicht nur die Oberfläche meines Körpers nass war, sondern auch das Innere. Unwillkürlich kauerte ich mich zusammen.
    Momo!, rief ich. Hilfe, hilf mir, Momo!
    »Du willst Hilfe von deinem Kind?« Die Frau lachte höhnisch. Ein erbarmungsloses Lachen, dachte ich bei mir. Wo sie doch noch nicht einmal Wantansuppe gegessen hatte, diese Frau.
    Ich wollte die feuchte Stelle in mir biegen und drücken. Ich wollte sie mit Kraft erfüllen.
    Nein, sagte ich. Aber die Worte tönten nicht außerhalb meines Körpers.
    »In Wirklichkeit willst du sie doch«, sagte die Frau entschieden.
    Ihr Tonfall gefiel mir nicht.
    Wieso folgte ich dieser Frau?
    »Weil du ich bist.«
    Stimmt nicht. Ich schüttelte den Kopf. Die Frau lachte nur hämisch.
    Ich versuchte, das Zerfließen aufzuhalten, aber ich konnte nicht. Allmählich bemächtigte es sich meiner. Rascher als bei Rei oder Seiji.
    Bei Momos Geburt hatte man mir gesagt, ich solle nicht pressen. Der Muttermund war ganz geöffnet, und obwohl das Kind sich drehend langsam hinausglitt, wies man mich streng an, nicht zu pressen. Durchhalten! Es ist noch zu früh. Noch ein bisschen. Noch nicht.
    Die fünf Minuten, die es dauerte, kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Ebenso hielt ich mich auch jetzt zurück. Aber mein Körper war nicht zu bremsen. Noch ein Zug, noch zwei Züge, wenn ich mich mit zusammengekniffen Augen auf das Zentrum des Zerfließens konzentrieren würde, könnte ich sofort den Höhepunkt erreichen. Aber er kam nicht.
    »Nicht die Augen schließen!«, befahl man mir. »Jetzt können Sie wieder pressen. Aber mit offenen Augen. Schauen Sie direkt an die Decke. Spannen Sie Ihre Vagina an. Pressen Sie mit aller Kraft.« Im Kreißbett wurde mir klar, dass die Geburt eines Kindes viel schwerer war, als ich gedacht hatte. Keiner hatte es mir gesagt. Mit dem Wort »schwer« verband ich eine andere Vorstellung. Seltsam, würde vielleicht besser passen, dachte ich. Ein Kind zu gebären ist etwas Seltsames.
    Dann presste ich. Beim Pressen selbst konnte ich nichts denken. Seltsam, seltsam, dachte ich hektisch, wenn ich ausatmete.
    Obwohl ich mich zurückzuhalten versuchte, kam der Höhepunkt. Ich stöhnte. Dann erwachte ich. Gleichzeitig verschwamm die Gestalt der Frau. Der Sturm war noch immer heftig, aber die Geräusche waren wieder da. Ich konnte auch wieder Leute sehen.
    Die Frau war verschwunden. »Ach, Sie sind ja ganz durchweicht. Soll ich Ihnen ein Handtuch bringen«, sagte eine ältere Verkäuferin an einem Souvenirstand. Sie war mollig und sprach in einem gemütlichem Tonfall.
    Wieder im Hotel rief ich den Zimmerservice an, um mir etwas Alkoholisches zu bestellen.
    »Eine Flasche Whisky und Eiswürfel? Kommt sofort. Soda steht in Ihrem Zimmer bereit.« Zu meiner Verwunderung klang die Stimme des Angestellten am anderen Ende des Haustelefons sehr real. Wo war ich eigentlich gerade gewesen?
    Ich sehnte mich danach, Seijis Stimme zu hören, und holte mein Handy hervor. Ich gab seine Nummer ein und hielt es ans Ohr. Kein Rufzeichen ertönte. Ob die Nässe dem Gerät geschadet hatte? Ich versuchte zu Hause anzurufen, aber es blieb stumm.
    Ich nahm den Hörer des Zimmertelefons ab und wählte. Momo war am Apparat. Ach, Mama, sagte sie weich. Ob meine Abwesenheit sie milder stimmte? Zögernd begann ich eine Unterhaltung. Geht es Oma gut? Regnet es bei euch auch so furchtbar? Ich bin noch nicht ganz fertig mit der Arbeit, aber übermorgen komme ich nach Hause. Ja. Genau. Ja. Ja, stimmt.
    Als ich aufgelegt hatte, wählte ich Seijis Nummer. Doch dann unterbrach ich mich. Ich fürchtete, Seiji würde es spüren. Spüren, wie sehr ich mich in Auflösung befand.
    Über der Kommode im Hotelzimmer hing ein großer ovaler Spiegel. Ich sah hinein. Mein Haar, das ich einfach hatte trocken lassen, war wirr. Meine Lippen waren farblos. Unter den Augen hatte ich dunkle Ringe.
    Ich ging näher an den Spiegel heran, entblößte meinen Oberkörper und betrachtete mich. Mein Busen war nicht mehr ganz straff. Und ganz weiß. Alle vor der Sonne geschützten Stellen waren weiß. Momos Haut war dunkler. Mitunter

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