Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiromi Kawakami
Vom Netzwerk:
hätte ich gern ihre junge glatte Haut berührt. Aber sie ließ sich nicht mehr anfassen. Ich wünschte, ich könnte mit Momo sprechen oder neben ihr gehen oder hinter ihr, ganz mit ihr verbunden sein. Und nicht mit dieser Frau.
    Ich sah Momos Gesicht in meinem. In letzter Zeit ähnelte sie wieder mir. Bis vor kurzem hatte sie noch wie Rei ausgesehen. Mit etwas schmaleren Zügen, tiefer liegenden Augen und gezupften Brauen wäre sie mir wie aus dem Gesicht geschnitten. Spiegel waren mir lange Zeit zuwider gewesen. Sie zeigten etwas, obwohl es nicht da war. Auch wenn ich die Hand nach meinem Körper ausstreckte, konnte ich ihn nicht berühren.
    Inzwischen hatte ich diese Abneigung nicht mehr. Ich hatte mich an meinen Körper gewöhnt, er ist normal für mich geworden. In Momos Alter war er mir zu viel. Ich wusste nicht, welche Teile wie funktionierten, welche Teile wie reagierten. Das hatte mir Angst gemacht.
    Mit wem war Momo an dem Abend zusammen gewesen?
    Ich begann in Gedanken zurückzugehen und bekam Angst.
    Im Regen stahl sich ein Sonnenstrahl durch eine Lücke in den Wolken. Er fiel auf den Spiegel und reflektierte matt. Ich öffnete die Whiskyflasche und schenkte mir ein. Ich trank ihn pur.
    Es war weder ein Traum noch war es Wirklichkeit, ich lauschte einfach nur dem Regen.
    Stammte der Regen aus einer anderen Welt? Oder aus dieser?
    Das Gesicht der Frau erschien hinter meinen Lidern - sie war es, die die Frage an mich richtete. Doch gleich war sie wieder verschwunden. Als ich aufwachte, stürmte es noch, aber der Regen hatte aufgehört. Aus der Whiskyflasche, die ich auf die Kommode gestellt hatte, fehlte etwa ein Drittel. Einen Kater hatte ich nicht.
    Ich setzte mich auf und sah aus dem Fenster. Offenbar war ich bei geöffneten Vorhängen eingeschlafen. Die Morgensonne war schwach. Die Wolken zogen schnell. Ich ging in den Speisesaal, um zu frühstücken. An der Rezeption erkundigte ich mich nach dem Fest, aber man wusste nichts Genaues. Möglicherweise gebe es am Abend ein Feuerwerk. Aber das hänge vom Wetter ab.
    Eigentlich hatte ich gar nicht nach dem Feuerwerk gefragt, aber mehr wussten sie eben nicht. Ich habe gehört, heute soll ein Schiff auslaufen, sagte ich. - Tja... Die Frau an der Rezeption schüttelte ratlos den Kopf. Dunst lag über dem Swimmingpool. Ab und zu tropfte es von den am Beckenrand aufgespannten Sonnenschirmen. Auf den weißen Tischen und Stühlen hatten sich kleine Pfützen gebildet.
    Ob die Person bei Momo etwa Rei gewesen war?
    Der Gedanke war mir am Abend zuvor gekommen. Ohne besonderen Grund. Vielleicht kam ich darauf, da Momo einerseits entspannt, zugleich aber auch etwas unsicher gewirkt hatte.
    Also wirklich. Ich schüttelte den Kopf. Was machte ich dann eigentlich hier? Wie oft wollte ich es noch versuchen? Wäre es nicht besser, sofort zu packen und nach Hause zu fahren? Außerdem hatte sich Arbeit angesammelt.
    Die Frau erschien.
    »Das Schiff fährt wahrscheinlich heute nicht«, sagte sie gleichgültig.
    »Wegen des Taifuns?«
    »Genau.«
    Sie setzte sich auf den Boden und streckte die Beine aus. Der Rock rutschte ihr bis zu den Oberschenkeln hoch. Sie waren blaugeädert.
    Hast du Kinder?, fragte ich sie.
    »Ja«, antwortete sie.
    »Wie viele?«
    »Sieben.«
    »So viele?«, sagte ich überrascht.
    Die Frau machte ein stolzes Gesicht. »Drei Jungen und vier Mädchen, zwei davon sind Zwillinge. Eigentlich hatte mein dritter Sohn auch einen Zwillingsbruder, aber er kam tot zur Welt. Die beiden Mädchen sind gesund herangewachsen.«
    »Hatte die Dichterin Akiko Yosano  (*)   nicht auch zwei Zwillingspärchen?«, fragte ich. Die Frau blickte mich verständnislos an.
    »Was ist mit Akiko?«, murmelte sie.
    Neben dem weißen Gebäude, das gestern eingestürzt ist, stand eine Steintafel mit einem Gedicht von Akiko. Sie ist bei dem Einsturz unbeschädigt geblieben. Was ist übrigens aus dem Haus geworden?, fragte ich.
    Es steht wieder, antwortete die Frau.
    Es war also eine Illusion?
    Du stellst komische Fragen. Die Frau lachte. Du fragst ausgerechnet mich, ob es eine Illusion war?
    Ich stimmte in ihr Gelächter ein. Ja, wirklich, komisch. Sehr komisch.
    »Was machen deine Kinder jetzt?«
    »Weiß nicht«, antwortete sie wieder gleichgültig.
    Das Schiff legt heute nicht ab, aber es finden Kagura-Tänze  (*)   statt. Hochinteressant, diese lokalen Feste. Die Frau redete wie eine Angestellte vom Fremdenverkehrsamt.
    Erzähl mir mehr von Rei. Bitte. Ich brachte mein Gesicht

Weitere Kostenlose Bücher