Am Meer ist es wärmer
suchte und suchte, und dann fanden Fischer, die aufs Meer hinausfuhren, sie über dem Wasser.
»Über dem Wasser?«, fragte ich, weil ich nicht verstand, was sie meinte. »Nicht im Wasser?«
Nein, über dem Wasser. Sie spiegelte sich darin. Das Mädchen. Ihr Haare standen zu Berge. Sie trug nur noch einen roten Lendenschurz. Ihre Füße waren mit Glyzinienranken zusammengebunden. Als der Fischer einen Blick nach oben warf, sah er sie kopfüber an dem Kiefernast hängen. Ihr Hals und ihre Beine waren ganz weiß.
Es donnerte, und Blitze zuckten. Die Wellen brandeten heran und rissen Sand mit sich.
Warst du dieses Mädchen?, fragte ich die Frau. Nein, erwiderte sie. Wirklich nicht?, fragte ich noch einmal. Ich weiß nicht, ich habe es vergessen, antwortete sie. Der Donner krachte. Die Wellen wurden höher und brandeten über die Felsen. Wir gehen lieber an eine höhere Stelle, sonst wirst du noch mitgerissen, schlug die Frau besorgt vor. Eine grauenhafte Geschichte, dachte ich, während ich ihr folgte. Die Wantansuppe war köstlich, sagte ich absichtlich, um abzulenken. Ich habe noch nie Wantansuppe gegessen, sagte die Frau sehnsüchtig. Es krachte und blitzte nun gleichzeitig. Ich hörte, wie etwas brach. Dann begann es heftig zu regnen.
Obwohl es überall regnete, hatte ich das Gefühl, der Regen galt nur mir.
Ich rannte und rannte, aber der Regen verfolgte mich. Meine dünne Bluse war völlig durchnässt und klebte mir auf der Haut.
»Du wirst ja gar nicht nass«, sagte ich. Die Frau legte den Kopf schräg.
»Würde ich aber gerne«, sagte sie, während sie vollkommen trocken voran ging. Mir dagegen troff das Wasser nur so aus den Haaren, von Gesicht und Wimpern. Mein knielanger weißer Rock war völlig durchweicht und hatte eine dunklere Farbe angenommen.
Die Frau stieg nun zügig eine Treppe hinauf, die in entgegengesetzter Richtung des Weges lag, den wir gekommen waren. Ich konnte ihr folgen, geriet aber außer Puste. Der Regen vermischte sich mit meinem Schweiß und rann zu Boden.
Am Ende der Treppe stand ein weißes Gebäude. Ich erinnerte mich, es gesehen zu haben, als ich das letzte Mal allein hier gewesen war. Im Regen versunken wirkte es verlassen.
»Geh rein«, sagte die Frau und deutete mit dem Finger darauf.
Als ich die Glastür aufschob, strömte mir feuchtwarme Luft entgegen. Durchnässt wie ich war, fröstelte ich. Die Mittagszeit musste vorbei sein, denn nur zwei Personen saßen an einem der langen Reihe von Tischen. Der Eindruck, dass es sich um ein verlassenes Haus handelte, den ich von außen gehabt hatte, war sofort verschwunden.
Am Eingang hatte man achtlos ein paar Plastikmodelle von den Gerichten aufgestellt. Es gab zwei Menüs, eins mit frittierter Rossmakrele und eins mit rohem Fisch. Als ich bei der Bedienung, die müde herangeschlurft kam, einen Kaffee bestellte, sagte sie, ich müsse mir zuerst einen Bon kaufen.
Die Frau war nicht mit hineingekommen. Wider Erwarten war der Kaffee sehr heiß, und ich verbrühte mir die Zunge. Vor dem Panoramafenster, das von der Decke bis zum Boden reichte, schwankten die Kiefern im Sturm. Ich triefte, und zu meinen Füßen bildete sich eine kleine Pfütze.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass alle Laute verstummt waren.
Die Kaffeetasse in einer Hand, sah ich, wie sich das Gesicht der Frau in der Pfütze spiegelte. Von der Größe einer Erbse wurde es zusehends größer, dann wie eine Walnuss, bis es schließlich die Größe eines menschlichen Kopfes erreichte.
Es regnete weiter. Und stürmte. Aber lautlos. Auch die Stimmen der beiden Gäste neben der Küche, die ich bis eben noch gehört hatte, drangen nicht mehr zu mir.
Wie aus einem sprudelnden Geysir taucht die Frau aus der Pfütze zu meinen Füßen auf. »Jetzt bin ich auch nass, wie?« Vorhin war sie trotz des heftigen Regens völlig trocken geblieben, aber nun triefte sie.
»Ich bin dir näher gekommen«, sagte sie mit anmutigem Lächeln.
Ob ich deshalb nichts hörte? Aber nicht nur waren die Geräusche verstummt, alles, was sich eben noch bewegt hatte, verharrte in regloser Starre. Die Bedienung und die Gäste waren in ihrer momentanen Bewegung erstarrt wie Tonfiguren, die jemand geknetet hatte.
»Das Licht...« Kaum hatte die Frau das gesagt, fing das Neonlicht über uns an zu flackern. Vor dem Fenster zuckten mehrere grelle Blitze, und danach verloschen alle Neonlampen.
»Ein Blitz hat eingeschlagen«, erklärte die Frau.
Da ich nichts hörte, hatte ich keine Ahnung, ob es ein
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