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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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konzentrieren. Es ist bewiesen, dass unsere Vorfahren sich dieser Methode bedient haben. Am Schluss des Jom-Kippur-Gottesdienstes sagen wir siebenmal Adonai Hu Elohim – Der Herr ist der Gott. Das lässt darauf schließen, dass dieser Satz möglicherweise als Mantra benutzt worden ist, und zwar nicht nur siebenmal, wie im Gebetsbuch vorgeschrieben.»
    «Wozu soll die Meditation denn eigentlich gut sein?»
    «Das ist schwer zu sagen, denn das ist bei jedem Einzelnen verschieden. Sie könnten zum Beispiel fühlen, dass alles mit allem anderen verbunden ist – das, was wir universelle Verwandtschaft nennen. Oder Sie spüren die grundlegende Einheit des Universums. Oder Sie erleben eine tiefe Ruhe.»
    Dan Cohen erlebte gar nichts von allem. Was er erlebte, sagte er sich ingrimmig, war fades Essen, eine harte, knotige Matratze auf einer schmalen Liege mit einer viel zu dünnen Wolldecke zum Schutz gegen die nächtliche Kühle und die ständige, langweilige Gesellschaft Matthew Charns. Von Kaplan hatte er außerhalb der Gruppensitzungen nur wenig gesehen, denn der war weitgehend mit seinem eigenen Kreis beschäftigt, der aus den Vorstandsmitgliedern der Synagoge bestand und von den anderen Abstand hielt. Und der schon abgefahren war, als er an diesem Morgen zur ersten Andacht herunterkam.
    «Chet und ein paar von den anderen mussten heute Morgen schon früh nach Hause zurückkehren», erklärte Rabbi Mezzik den Übrigen. «Sie müssen an einer wichtigen Vorstandssitzung teilnehmen. Immerhin haben wir aber noch einen minjen , also ist es nicht weiter schlimm.»
    Niemand schien sich etwas dabei zu denken, für Dan Cohen aber war es ein weiteres jener Ärgernisse, die er an diesem Wochenende zu erdulden hatte. Während er mit dem Gebetsschal über dem Kopf dastand, fragte er sich, warum er überhaupt gekommen war. Gewiss, er hatte weg wollen von Barnard’s Crossing und von seiner Praxis. Aber warum hierher und warum hatte er überhaupt weg müssen?
    Der Tod eines Patienten, so traumatisch er sich auch auswirken mochte, war in einer Arztpraxis immer zu erwarten. Auch über eine mögliche Klage wegen falscher Behandlung machte er sich keine Gedanken; er war sicher, dass seine Behandlung korrekt und vertretbar gewesen war.
    Die Reaktion seiner Kollegen, vor allem der beiden älteren, war zwar unerwartet und beunruhigend gewesen, aber mit so einer Situation wurde man ganz gewiss besser fertig, wenn man blieb und sie durchkämpfte, statt einfach davonzulaufen. Es war denkbar, dass sie ihn letztlich baten, die Klinik zu verlassen. Das wäre wirklich beunruhigend, gestand er sich ein. Aber es würde nicht sofort geschehen, weil er einen Vertrag hatte, und wenn er auf Erfüllung der Vertragsbedingungen pochte, hatte er immer noch über ein Jahr Zeit, bis sie ihn hinauswerfen konnten. Bis dahin war er vielleicht in der Lage, sich eine eigene Praxis in Barnard’s Crossing einzurichten und einen Stamm eigener Patienten aufzubauen. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, brauchte er nicht ganz hier herauszufahren und mit einem Gebetsschal über dem Kopf herumzustehen.
    Aber warum war er dann hier? Wieder erinnerte er sich seiner Verlegenheit bei dem Telefongespräch mit Kestler, die umso größer gewesen war, als Lanigan mitgehört hatte. Leicht beunruhigt fragte er sich, ob der Polizeichef über die Klage wegen des Zauns unterrichtet war. Wurde die Polizei von derartigen Dingen in Kenntnis gesetzt? Unvermittelt wurde ihm klar, dass er sich im Grunde nur wegen seiner wiederholten Misserfolge Sorgen machte. Er hatte in Delmont versagt und dann in Morrisborough. Sollte das Gleiche wieder in Barnard’s Crossing passieren? Neigte er zu Misserfolgen, wie manche Menschen zu Unfällen neigten? Die in den drei Städten gesammelten Erfahrungen zusammengenommen – bedeuteten sie, dass er zum Praktizieren der Medizin ungeeignet war?
    Verlor er den Glauben an sich selbst als Arzt? Ein beängstigender Gedanke schoss ihm durch den Kopf, den er jedoch sogleich zu verdrängen suchte: War es möglich, dass es damals, als er Jacob Kestler zum ersten Mal Limpidine verschrieben hatte, zu einer allergischen Reaktion gekommen war? Er hatte nicht erst noch einmal in seinen Krankenblättern nachgesehen, ehe er am Abend des Hurricanes zu ihm fuhr, sondern sich auf sein Gedächtnis verlassen. Er war sicher, dass das nicht der Fall gewesen war, aber das hatte schon Monate zurückgelegen, und er hatte es vielleicht vergessen. Und während er jetzt hier ganz

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