Am Mittwoch wird der Rabbi nass
Schwiegervater, «und Verbrechen wird Er für dich auch nicht arrangieren, damit du die Täter verteidigen kannst. Doch wenn du betest, werden deine Wünsche erfüllt werden. Als junger Mann wollte ich immer Rabbi werden und habe eifrig dafür studiert, aber das eine oder das andere kam dazwischen. Trotzdem verlor ich den Glauben nicht und bekam schließlich das, was ich mir wirklich wünschte.»
«Aber du bist doch gar kein Rabbi. Du bist Schammes.»
«Gewiss, aber was hatte ich mir denn wirklich gewünscht? Zuerst wollte ich Rabbi werden wegen der Ehre. Später, als ich älter und reifer wurde, wollte ich Rabbi werden, weil ich dachte, dass mir das Leben gefallen würde: studieren, beraten, Menschen auf den richtigen Weg lenken, lehren. Und genau das mache ich jetzt. Ich habe Zeit zum Studieren, ich unterrichte eine Gruppe Männer im Talmud und bin fast immer die Stimme der Gemeinde, wenn ich täglich bei der Andacht vorbete. Und ich habe drei Rabbis an der Synagoge überdauert. Alle waren sie so beschäftigt mit Sitzungen und Ausschüssen und der Vorbereitung kleiner Ansprachen, dass sie nie Zeit zum Studieren hatten und nicht mal immer am täglichen minjen teilnehmen konnten. Drüben, in der alten Heimat, war das alles natürlich ganz anders – anders für den Rabbi und anders für den Schammes. Aber wir sind nicht mehr in der alten Heimat. Wir sind hier. Und hier tue ich, was ich mir wirklich gewünscht habe.»
«Warum passiert denn mir so was nicht? Ich gehe jeden Morgen und jeden Abend mit dir zum minjen …»
«Aber man muss beten», antwortete sein Schwiegervater.
«Und was mache ich? Lese ich vielleicht die Zeitung?», fragte Chester aufgebracht.
«Du sprichst, wie die meisten, lediglich die Worte aus. Das Gebet muss in deinen Gedanken sein.»
Im Laufe der Zeit ging es Edies Ehemann immer besser. Klienten kamen, zum Teil aufgrund der Kontakte, die er in der Synagoge angeknüpft hatte, und schließlich konnten Edie und Chester ihre eigene Wohnung beziehen. Insgeheim war er überzeugt, dass sein Glaube diesen Erfolg ausgelöst hatte. Er hängte diese Überzeugung jedoch nicht an die große Glocke, denn der Glaube war unmodern, und seine Zeitgenossen hätten ihn für schrullig gehalten. So legten sie seine regelmäßige Teilnahme an den Gottesdiensten als eine leichte Exzentrizität aus oder als Gefälligkeit seinem Schwiegervater gegenüber. Oder sogar als günstige Gelegenheit, Klienten zu werben.
Als Leah geboren wurde, fanden sie, eine Stadtwohnung sei für die Entwicklung von Kindern ungeeignet, und zogen um nach Barnard’s Crossing. Chester wurde Mitglied der orthodoxen Synagoge im nahen Lynn und nahm regelmäßig am minjen teil. Der Sabbat jedoch stellte sie vor ein Problem. Die Synagoge lag gute fünf Meilen vom Haus entfernt, zu weit, um zu Fuß zu gehen, und Autofahren war tabu. Er besprach das Problem mit Edie. «Ich könnte am Freitagnachmittag in ein Hotel gehen und …»
Sie schüttelte den Kopf. «Dann würdest du das Sabbatmahl zu Hause versäumen. Und Vater sagt, das ist weit wichtiger, als zur schul zu gehen. Du musst deinen Verstand gebrauchen. Einmal zum Beispiel fiel kurz vor dem Freitagabendgottesdienst der Strom in der Synagoge aus. Und aus irgendwelchen Gründen war der Hausmeister nicht da. Mein Vater wusste, was zu tun war. Eine Sicherung war durchgebrannt. Aber sie auszuwechseln hätte Arbeit am Sabbat bedeutet. Er wollte auf die Straße gehen, weil er hoffte, einen nichtjüdischen Passanten zu finden, den er bitten konnte, ihm zu helfen, aber dann hatte er Angst, dass dabei was passieren könnte. Er ist im Umgang mit Elektrizität immer ein bisschen ängstlich gewesen. Andererseits, was würde geschehen, wenn die Leute kamen und die ganze Synagoge war dunkel? Also wechselte er, obwohl es Arbeit und daher am Sabbat verboten war, die schadhafte Sicherung selber aus.»
«Aber ich kann nicht am Samstag im Auto an der Synagoge vorbeifahren.»
«Dann parkst du einen Block entfernt und gehst von da aus eben zu Fuß», riet Edie.
Als Jacob Wasserman eine Organisation für den Bau einer Synagoge in Barnard’s Crossing gründete, trat Chester Kaplan natürlich bei, zeigte aber wenig Interesse daran, da es eine konservative Synagoge werden sollte. Als dann Tochter Leah alt genug war, um in die jüdische Schule zu gehen, beschloss er jedoch, sie in die Schule der Synagoge von Barnard’s Crossing zu schicken, statt all die Umstände auf sich zu nehmen, die es bedeutete, das Kind
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