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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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täglich in die Schule der Synagoge von Lynn zu bringen. Infolgedessen bekam er engeren Kontakt mit der einheimischen Synagoge und entsprechend weniger mit der Synagoge von Lynn. Zwar vermisste er hier verschiedene Dinge, aber es gab Kompensationen. Als aktiv praktizierender und in Dingen der Religion beschlagener Jude gehörte Chester zu einer kleinen Elite der einheimischen Synagoge, während er in Lynn nur einer von vielen gewesen war. Daher erwies man ihm besonderen Respekt.
    Kurz nach Leahs Scheidung begann ihr Vater mit seinen Mittwochsempfängen und den Klausuren in New Hampshire. Edie war von beidem nicht sehr begeistert, aber sie drängte ihm ihre Meinung nicht auf, da sie undeutlich spürte, dass Chesters neu gewonnenes Interesse irgendwie etwas mit Leahs Scheidung zu tun hatte, dass es eine Reaktion auf das Unglück war, von dem ihre Tochter heimgesucht wurde, eine spezielle religiöse Übung dafür, dass er in Ungnade gefallen war.
    Als ihr Mann zum Präsidenten der Gemeinde gewählt wurde, war Edie erfreut, aber nicht übermäßig, denn sie war in einem Haushalt aufgewachsen, in dem der Präsident der Synagoge häufig als Feind oder wenigstens als Opposition betrachtet wurde. Als er Pläne für eine permanente Klausur zu schmieden begann, zeigte sie nur geringes Interesse.
    «Aber was hältst du von der Wirkung, die so etwas auf die Gemeindemitglieder ausüben wird?», fragte Chester. «Diese Klausur bietet ihnen die Chance, an ihrer Religion zu arbeiten, ihrer Religion mehr Sinn zu verleihen.»
    «Komisch, ich habe das nie als Arbeit betrachtet», gab Edie zurück. «Es gibt Vorschriften, und alles wird ganz deutlich erklärt. Man weiß immer, was man zu tun hat. Wo siehst du da Arbeit?»
    Als sie hörte, dass der Rabbi gegen die Klausur war, zeigte Edie sich beunruhigt, doch ihr Mann war so begeistert von dem Projekt, dass sie nicht mit ihm streiten wollte. Als sie allerdings dann hörte, wie er Bill Safferstein nach der Sitzung erklärte, er brauche sich keine Sorgen zu machen, der Rabbi sei der einzige Gegner, und er hege nicht den geringsten Zweifel, sein Antrag auf Neuabstimmung werde abgelehnt, konnte sie nicht mehr schweigen.
    «Es ist nicht richtig, Chet», sagte sie. «Mein Vater hat im Laufe der Jahre mit vielen Rabbis zu tun gehabt. Manche mochte er, und manche mochte er nicht so sehr. Mit einigen hat er diskutiert, mit einigen hat er gestritten, weil er ein gelehrter Mann war und den Talmud ebenso gut kannte wie sie. Doch wenn er einen Rabbi nach einer Rechtsangelegenheit fragte, akzeptierte er dessen Entscheidung. Man stellt sich nicht gegen einen Rabbi, Chet. Wenn man ihn um sein Urteil bittet, nimmt man dieses Urteil an.»
    «Aber ich habe ihn in diesem Fall nicht um seine Meinung gebeten. Er hat sie uns aufgedrängt.»
    «Das ist dasselbe, Chet. Wenn man ihn fragt, akzeptiert man seine Antwort. Und wenn er meint, dies sei eine Angelegenheit, die ihn angeht, akzeptiert man diese Entscheidung ebenfalls. Aus dieser Sache entsteht nichts Gutes, Chet. Glaube mir.»

40
    Von den kurzen Besuchen bei seinem Vater im Krankenhaus abgesehen, verbrachte Akiva jede freie Minute mit Leah. Er kam nicht nur des Abends nach Ladenschluss, sondern fuhr auch an den Tagen, an denen McLane morgens aufschloss, nach dem Frühstück hinüber, um eine Tasse Kaffee mit ihr zu trinken. Gelegentlich, wenn seine Arbeitszeit im Geschäft es erlaubte, holte er sie ab und fuhr mit ihr zum Lunch in ein koscheres Restaurant in Boston. Nie rief er sie vorher an; immer erschien er unangemeldet. Er setzte voraus, dass sie zu Hause war und ihn gern sehen wollte.
    «Warum rufst du nicht vorher an?», beschwerte sie sich. «Wenn ich nun gerade Besuch habe?»
    «Wie gestern Vormittag?»
    «Du warst gestern hier? Meine Mutter …»
    Er grinste. «Natürlich war ich hier. Aber ich hab den Wagen in der Einfahrt gesehen und bin umgekehrt.»
    «Aber warum kannst du denn nicht …»
    Akiva legte seine Hände auf die ihren. «Macht es dir wirklich etwas aus, Leah? Stört es dich? Für mich ist das nämlich wunderschön. Es verleiht mir das Gefühl, zu Hause zu sein.»
    «Hier, meinst du? In diesem Haus?»
    «Nein, ich meine, wo du bist. Wo immer du dich gerade aufhältst.»
    Rose Aptaker machte sich natürlich ihre Gedanken, doch nach der Szene letztes Mal, als er zu Hause war, hütete sie sich, ihm Fragen zu stellen, die er als Einbruch in seine Privatsphäre auffassen mochte.
    Als sie dann sah, dass er am Morgen seine Gebete sprach,

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