Am Montag flog der Rabbi ab
erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.»
Obwohl jedem ein bestimmter Sitzplatz im Flugzeug zugeteilt worden war, gab es erhebliches Drängeln und Schubsen. «Warum tun sie das?», klagte Miriam, als sich die Passagiere durch den Mittelgang kämpften. «Wissen sie denn nicht, dass wir nicht eher starten, bevor jeder sitzt?»
Der Rabbi musterte die Mitreisenden. «Ich nehme an, für etliche ist es der erste Flug überhaupt. Oder vielleicht glauben sie nicht, dass es wirklich für jeden Platz gibt. Wir waren wohl von jeher Skeptiker.»
Sie hatten nur eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen und waren jetzt ziemlich hungrig. Zum Glück begannen die Stewards und Stewardessen fast unmittelbar nach dem Start zu servieren. Ab und zu wurde ein Passagier übergangen. Der Mann auf dem Eckplatz in der gegenüberliegenden Sitzreihe machte einen Steward darauf aufmerksam. «Sie, der Gentleman dort hat kein Tablett bekommen.»
«Ich weiß, ich weiß», sagte der Steward. «Sind Sie sein Rechtsanwalt?» Damit eilte er weiter.
Der Mann beugte sich zum Rabbi hinüber. «Frech. Diese jungen Israelis sind richtig vorlaut – kein Respekt.»
Es dauerte nicht lange, bis sich die Sache aufklärte. Sobald die Stewards die Tabletts verteilt hatten, wurden flache Pappschachteln mit der Aufschrift «Streng koscher» ausgegeben.
«Aha. Na, und warum konnte er das nicht sagen?», fragte der Mann von gegenüber. «Und ist unser Dinner etwa nicht koscher? Bei El Al haben sie mir gesagt, alle Mahlzeiten sind streng koscher.»
«Weshalb fragen Sie nicht den Steward?», schlug der Rabbi vor.
«Und lass mir noch mal frech kommen?»
«Gut, dann frage ich ihn. Ich bin selber neugierig.»
Als der nächste Steward vorbeikam, zupfte er ihn am Ärmel. «Ist unser Dinner nicht koscher? In welcher Hinsicht sind die anderen mehr koscher?»
Der Steward zuckte lächelnd die Achseln. «Sechs Jahre bin ich jetzt bei El Al und hab’s bis heute nicht rauskriegen können.»
Der Rabbi lächelte ebenfalls und dankte ihm mit einem Nicken. Doch der Mann gegenüber wiegte langsam den Kopf hin und her. «Fanatiker, das ist’s, was sie sind. Das Land soll voll davon sein.»
Kurz nach dem Dinner wurde die Beleuchtung ausgeschaltet, und die Passagiere rüsteten sich für die Nacht. Miriam und Jonathan schliefen, der Rabbi jedoch konnte nur gelegentlich eindösen. Dennoch war er bei Sonnenaufgang nicht müde. Miriam war bereits wach, ebenso ein Großteil der Passagiere. Im Gang standen zwei oder drei Männer mit den Gesichtern zu den Fenstern und sprachen die Morgengebete.
«Bist du wach, David?», fragte Miriam. «Der Steward sagte, sie servieren bald.»
Er nickte wortlos, und als sie bemerkte, dass er die Lippen bewegte, wusste sie, dass er die Gebete sprach. Nachdem er fertig war, sagte er: «Dies eine Mal habe ich im Sitzen gebetet. Aber wenigstens blicke ich in die richtige Richtung. Im Gegensatz zu ihnen.» Dabei wies er auf die Männer im Gang.
«Was meinst du damit?»
«Das Flugzeug hat Kurs nach Osten, und ich sitze in Flugrichtung. Und sie blicken nach Norden und Süden.»
Wieder tippte ihn der Mann gegenüber an und deutete mit dem Kopf auf die Betenden. «Was hab ich Ihnen gesagt? Fanatiker!»
Nach dem Frühstück begannen sich die Passagiere für die Landung fertig zu machen, obwohl es bis dahin noch ein paar Stunden waren. Sie wühlten in ihren Taschen nach Pässen, nach Adressen; wer seinen Platz verlassen und Freunde besucht hatte, kehrte zurück; wer neue Bekanntschaften im Flugzeug geschlossen hatte, schrieb ihnen seine Reiseroute auf oder gab ihnen Adressen, unter denen er zu erreichen war. Von Zeit zu Zeit kam eine Durchsage des Piloten, dass sie gerade die Alpen, die griechische Küste, die griechischen Inseln überflögen, und pflichtschuldigst unterbrachen die Passagiere ihre jeweilige Tätigkeit, um aus den Fenstern nach unten zu sehen. Endlich teilte er mit, sie befänden sich im Anflug auf Israel und den Flugplatz Lod. Diejenigen, die rechts vom Gang saßen, hatten einen kurzen Blick auf grüne Felder und dann auf die schwarz geteerte Rollbahn. Als das Flugzeug wenige Minuten später leicht aufsetzte und ausrollte, applaudierten die Passagiere. Ob der Beifall der Geschicklichkeit des Piloten galt oder Ausdruck der Erleichterung war, dass der lange Flug zu Ende und sie sicher auf israelischem Boden gelandet waren, vermochte der Rabbi nicht zu sagen. Er stellte fest, dass Miriams Augen feucht waren.
In Hebräisch sagte der Pilot:
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