Am Montag flog der Rabbi ab
einer Siedlung. Achtundvierzig wurde sie angegriffen. Drei Männer mit einem Maschinengewehr haben eine ganze Kompanie zurückgehalten, bis sie die Kinder in Sicherheit bringen konnten … Wir züchten Blumen für den Export … Letztes Jahr haben unsere Agronomen ein neues Düngemittel ausprobiert, das hat den Ertrag je Morgen verdoppelt – phantastisch! … Das da sind arabische Felder. Wir haben ihnen beigebracht, wie man die Sämlinge mit Plastik schützt. Dadurch hat sich die Erzeugung vervierfacht … Da hinten ist ein Araberdorf. Primitiv! Was man da an Schmutz und Krankheiten vorfindet – ihr würdet es nicht für möglich halten … Trachom und Gastroenteritis waren endemisch. In den Sommermonaten starben die Kinder wie die Fliegen. Dann haben wir dort eine Klinik aufgemacht. Zuerst haben sie uns nicht getraut. Die Behandlung musste vor der versammelten Familie stattfinden. Und wenn wir ihnen Tabletten gaben, haben sie untereinander getauscht – ‹ich geb dir zwei weiße für eine rote› – so auf die Tour. Aber sie haben gelernt, und jetzt sterben die Kinder nicht mehr. Und einige von den jungen Leuten nutzen die staatliche Beihilfe aus und bauen moderne Häuser, wenn sie heiraten, statt dem alten Gebäude ein weiteres Zimmer für sich hinzuzufügen … Eine Zementfabrik. Dort wird rund um die Uhr gearbeitet – drei Schichten am Tag …»
«Ein Zelt!», rief Jonathan. «Und Ziegen!»
«Beduinen», erklärte sie. «Sie führen ihre Herden auf ein Stück freistehendes Land, schlagen ein Zelt auf und bleiben ein paar Tage oder eine Woche, bis das letzte Fleckchen Grün kahl gefressen ist. Dann ziehen sie weiter. Die Schafe der Beduinen sind eine der Hauptursachen dafür, dass der Boden im Lauf der Jahre immer schlechter geworden ist. Sie fressen alles bis an die Wurzeln ab … Das sind Panzer. Arabische Panzer und Panzerspähwagen. Wir lassen sie gewissermaßen als Mahnung dort stehen. Sie gerieten in unser Kreuzfeuer, denn wir waren ja auf ihr Kommen vorbereitet. Und dann haben wir sie an den Straßenrand geschoben, und da blieben sie. In dem Kibbuz gleich hinter der nächsten Kurve haben sie mehrere davon, alle in leuchtenden Farben bemalt. Die Kinder spielen darin.»
Die Landschaft war eintönig; eine vereinzelte Palme oder ein Kaktus ließen erkennen, dass sie sich in einem subtropischen Gebiet befanden; im Übrigen war es eben und flach mit kleinen bebauten Feldern. Doch bald begann die Straße in langen, gewundenen Kurven anzusteigen, und das Bild veränderte sich zusehends. Sie näherten sich Jerusalem durch die alte Hügellandschaft. Die Hügel waren kahl und steinig, bis auf kleine grüne Flächen; hier hatte man die Steine zum Bau der Terrassenanlagen verwendet.
«Selbst die Steine sehen alt und verbraucht aus», rief der Rabbi.
«Alles wirkt so öde – und dürr», meinte Miriam.
«Dies war das Land, in dem einmal Milch und Honig floss», sagte Gittel hart, «und das wird es auch wieder sein.»
Eigentlich hatten sie erwartet, plötzlich, dramatisch auf die Stadt zu stoßen, die von Mauern umgebene Stadt, wie sie auf den Bildern erschien, die sie gesehen hatten. Doch die Straße, die sie genommen hatten, führte an Arabersiedlungen, ähnlich den Pueblos der Indianer, vorbei und an den moderneren jüdischen Wohnblocks. Allmählich wurde die Besiedlung immer dichter, bis die Häuserreihe fast ohne Unterbrechung fortlief und sie auch ohne Gittels Mitteilung merkten, dass sie in der Stadt waren.
Der Wagen schlängelte sich durch schmale, von kleinen, schäbigen Läden gesäumte Straßen. Auf der Fahrbahn wimmelte es von europäischen Kleinwagen, auf den Gehwegen von Menschen. Von ihrem ersten Blick auf die Stadt enttäuscht, konzentrierten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Passanten, wiesen einander auf alles Neuartige und Fremde hin: die Chassidim im breitkrempigen schwarzen Hut und dem langen Kaftan, die Hosen in die Strümpfe gesteckt; die Gruppen von Soldaten, die das Gewehr über die Schulter gehängt hatten oder es am Abzugsbügel trugen; die Araber mit der schwarzweißen Keffieh , die von einer zweifachen Kordel gehalten wurde. Dann bogen sie um eine Ecke und kamen auf eine breitere Straße, die nur auf einer Seite bebaut war; auf der anderen fiel das Gelände in ein weites Tal ab, und dahinter lag in der Ferne die von Mauern umgebene Altstadt.
Gittel hielt an. «Da drüben, dort ist die Altstadt. Weidet eure Augen daran.»
«Das ist wunderschön», sagte Miriam.
Der Rabbi
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