Am Montag flog der Rabbi ab
Sätze kamen bald ganz auf Hebräisch.
Gittel hatte in der Schulfrage eine sehr kluge Entscheidung getroffen. Es gab drei oder vier Horte und Kindergärten in der Gegend, da praktisch sämtliche Mütter arbeiteten, aber in dem von ihr ausgesuchten waren zum Glück mehrere englischsprachige Kinder, deren Eltern entweder aus den Staaten oder dem Commonwealth zu einem längeren Besuch nach Israel gekommen waren oder sich hier niedergelassen hatten. Dadurch wurde ihm der Übergang zum Hebräischen erleichtert. Anfangs spielte er ausschließlich mit den englischsprachigen Kindern, aber sobald er die Sprache besser konnte, ebenso mit den anderen. Shauli, der kleine Junge aus der oberen Wohnung, war natürlich sein bester Freund, mit dem er am meisten zusammenkam.
Der Rabbi hatte zwar keinen feststehenden Tageslauf, aber trotzdem wurde ihm die Zeit nicht lang. In gewissem Sinne war er all die Jahre in Barnard’s Crossing ebenfalls Herr über seine Zeit gewesen. Es hatte Sitzungen gegeben, an denen er teilnehmen musste, Beratungen mit Kommissionen, aber niemals zu bestimmten Stunden. Er hatte keine geregelten Bürozeiten, kein festgesetztes Tagesprogramm. Daher unterschied sich sein Leben hier nicht allzu sehr von dem daheim. Morgens ging er in eine der nahe gelegenen Synagogen zum Gottesdienst, danach unterhielt er sich noch mit den anderen Besuchern, frühstückte vielleicht sogar mit ihnen in einem Café. Er erforschte die Stadt. Und er las eine Menge, wobei die vielen Buchläden mit ihrem reichhaltigen Sortiment für ihn immer wieder eine Überraschung waren. Und natürlich arbeitete er an seinem Essay über Ibn Esra.
Beide gewannen sie neue Freunde, Miriam im Krankenhaus und in der Sprachenschule, er in der Synagoge. Gelegentlich luden sie sie ein oder gingen zu ihnen; nach der Landessitte gab es Tee, Kaffee und Gebäck. Einmal überwand der Rabbi seine Zweifel an den Verkehrsverhältnissen und mietete einen Wagen; sie fuhren durch Galiläa und verbrachten ein paar Tage in einem Kibbuz. Sie hatten den Chawer , den Genossen, auf einer Party in Jerusalem kennen gelernt. Er hieß Itzical; seinen Familiennamen fanden sie nie heraus.
«Besuchen Sie uns doch für ein paar Tage und schauen sich an, wie das wirkliche Israel lebt. Mein Nachbar macht Urlaub, Sie können sein Haus benutzen.»
«Aber nach wem soll ich dort fragen?»
«Fragen Sie nach Itzical – dann sagt Ihnen jeder Bescheid.»
Sein Sohn, der in Jonathans Alter war, hatte die Erlaubnis bekommen, bei seinen Eltern statt wie sonst im Kinderhaus zu wohnen, sodass Jonathan einen Spielgefährten hätte. Am Morgen nach der Ankunft der Smalls, einem Freitag, holte er sie zusammen mit seinem Vater ab, um sie zum Frühstück in den gemeinsamen Speisesaal zu führen. Als sie eintraten, sprach der Rabbi bereits die Morgengebete. Der kleine Junge sah mit erstaunt aufgerissenen Augen zu.
«Was macht er da, Vater?»
«Pst – er betet.»
«Was hat er da an – den Schal und die Bänder?»
«Das nennt man Tallit und Tefillin. Erinnerst du dich, in dem bebilderten Buch über den Krieg waren ein paar Soldaten an der Klagemauer, die hatten das Gleiche an.»
«Warum haben sie so was an?»
«Sie glauben, das hilft beim Beten.»
«Aber warum beten sie denn?»
Der Rabbi hatte geendet und lächelte dem Jungen zu. «Weil wir dankbar sind und unseren Dank aussprechen möchten», sagte er.
Auch Itzical lächelte. «Unser Kibbuz ist areligiös. Vielleicht sogar antireligiös.»
«Sie halten keine Feiertage ein, auch nicht den Sabbat?»
«Die religiösen Feiertage nicht, und die anderen auf unsere Art.»
«Aber keiner unserer Feiertage ist doch rein religiös, vielleicht mit Ausnahme des Versöhnungstages», antwortete der Rabbi.
«Deshalb halten wir ihn ja auch nicht ein.»
«Strengen Sie sich besonders an, ihn nicht einzuhalten, oder ignorieren Sie ihn einfach?»
Itzical zuckte die Achseln. «Sie wissen doch, wie das ist. Die meisten ignorieren ihn einfach, aber ein paar von den Aufgeklärten … na ja, die werden gern doktrinär. Von ihnen könnte man sagen, sie strengen sich besonders an, ihn zu ignorieren.»
Trotzdem war das Sabbatmahl festlich. Sämtliche Mitglieder des Kibbuz hatten sich fein gemacht; die Frauen trugen Kleider statt Jeans und die Männer offene weiße Hemden. Es gab den traditionellen gefüllten Fisch und Huhn, und auf dem Tisch standen sogar Kerzen und Wein.
Die Smalls saßen an einem Tisch mit Itzical und seiner Familie, und der Rabbi sah
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