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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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ließ es ihm keine Ruhe – er musste mit seiner Frau über den Erfolg seiner Predigt reden. «Ich tue ja wirklich nichts anderes, als die Geschichte von Purim zu erzählen, aber die ist nun mal fröhlich», sinnierte er. «Natürlich erinnert sich die Gemeinde in großen Umrissen daran, doch das trägt nur noch zu ihrem Vergnügen bei. Trotzdem – wenn ich nichts weiter täte, als die Geschichte zu erzählen, kämen sie sich als Kinder behandelt vor und wären beleidigt. Mit Recht. Also schmücke ich sie mit allen möglichen Betrachtungen aus, um sie in einem modernen Kontext plausibel zu machen. Zum Beispiel, dass der persische König eine Palastrevolution Hamans fürchtete und sich mit Esther verbündete, um ihn zu Fall zu bringen.» Er lachte in sich hinein. «Ich hab schon beim Reden gemerkt, dass es ein Bombenerfolg werden würde.»
    Sie lächelte verständnisvoll. «Ja, Lieber. Dir gefällt es hier, nicht wahr?»
    «Sehr gut», antwortete er ohne Zögern. «Eine nette Stadt, und Boston und Cambridge sind so bequem zu erreichen. Ich hab mich gefreut, ab und zu ein Symphoniekonzert besuchen zu können – für einen Musikliebhaber wie mich bedeutet das viel.»
    Betty Deutch schüttelte den Kopf. «Ich meinte eigentlich, dir gefällt der Tempel, die Gemeinde, deine Arbeit.»
    «Das ist das Beste von allem. Keine Schwierigkeiten mit dem Vorstand, jeder bringt sich förmlich um, und ich tue nur das, was ich möchte. Die Predigt jetzt – weißt du, wann ich sie geschrieben habe?»
    «Natürlich. Für deinen Antrittsgottesdienst in Coventry, Michigan. Es war deine erste Stelle als Rabbi. Und dann hast du sie nochmal gehalten, als du nach Darlington, Connecticut, gekommen bist. Und ich hätte dich wirklich nicht zu fragen brauchen, ob du glücklich bist hier», setzte sie lächelnd hinzu. «Ich kann ja sehen, dass es dir gefällt. Hast du dir schon mal überlegt, dass es keine schlechte Idee wäre, hier zu bleiben?»
    «Das kommt überhaupt nicht infrage, Betty. Es handelt sich lediglich um eine Vertretung. Rabbi Small kommt in einem Monat zurück. Außerdem bin ich im Ruhestand, falls du dich daran erinnerst.»
    «Doch, ich weiß, Lieber. Und ich weiß auch, dass du dich im Ruhestand nicht sehr glücklich gefühlt hast. Ein Mann wie du, ein gesunder, kräftiger Mann – du müsstest was zu tun haben. Du darfst deine Zeit einfach nicht damit verbringen, dass du rumsitzt und Trübsal bläst.»
    «Ich wusste gar nicht, dass ich rumgesessen und Trübsal geblasen hätte», entgegnete er steif. «Ich hatte vor, etwas zu schreiben, eine wissenschaftliche Arbeit, die mir schon eine Weile im Kopf rumgeht …»
    «Mach dir doch nichts vor, Hugo. Wenn du unbedingt schreiben müsstest, hättest du sofort damit angefangen. Schon zu der Zeit, als du noch Rabbi in Darlington warst. Und du hättest bestimmt nicht die ganzen Monate damit zugebracht, einfach rumzutrödeln.»
    «Ich hab über eine Reihe von Projekten nachgedacht», entgegnete er.
    «Nein, Hugo. Wenn du wirklich schreiben möchtest, schreibst du auch.» Sie schüttelte den Kopf. «Begreifst du denn nicht? Das, was du hier tust, einen Tempel und eine Gemeinde leiten, das ist deine Arbeit. Und die machst du hervorragend. Weshalb also das nicht fortsetzen?»
    Er wandte sich gekränkt ab. «Es tut mir Leid, dass du meine schriftstellerischen Pläne für nichts als Theater hältst, für einen bloßen Vorwand …»
    «Aber das waren sie doch, mein lieber Hugo. Erinnerst du dich nicht mehr – du dachtest, die Gemeinde in Darlington würde dich bestimmt bitten zu bleiben, und du hast dir überlegt, was du tun solltest, falls es anders käme. Damals sagtest du, dann hättest du wenigstens Zeit, deine Papiere zu ordnen und könntest deine Predigten als Buch herausgeben. Aber gerade das zeigte doch, dass du dich mit dem Gedanken an Ruhestand nicht konfrontieren wolltest. Und dann baten sie dich nicht zu bleiben, und du hattest ein paar Monate im Ruhestand …»
    «Ich war überzeugt davon, dass sie mich darum bitten würden», sagte er ruhig. «Sie hatten noch keinen Ersatz. Zumindest hatten sie sich nicht auf einen einigen können. Aber ich nehme an, nach dreißig Jahren haben sie einen über», schloss er resigniert.
    «Die Gemeinde hat sich gewandelt, Hugo», gab sie zu bedenken. An ihrem Ton war zu merken, dass diese Diskussion nicht die erste ihrer Art war. «Eine andere Sorte von Leuten ist ans Ruder gekommen und hat die Dinge in die Hand genommen.» Sie lächelte.

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