Am Montag flog der Rabbi ab
Recht?»
«Sicher, aber das hier ist was anderes. Bei mir hat sich’s ja nur um meine Freunde gedreht. Aber bei ihm dreht sich’s ums Geschäft. Er geht drei Monate weg, an sich schon keine sehr gute Idee. Jedenfalls nicht, wenn du’s mit einem Vorstand und einer Gruppe Vorstandsmitgliedern zu tun hast, die versuchen, dich unter Druck zu setzen. In so ’ner Position solltest du dableiben, damit du zurückschlagen kannst. Dann geht er weg ohne irgendeinen Vertrag. Sehr ungeschickt, vor allem, wenn du siehst, dass sie sich ’ne wahre Kanone als seine Vertretung geholt haben. Natürlich haben wir nur Marty Drexlers Wort, dass er’s so haben wollte. Also wenn du mich fragst, ich halt’s nicht für ausgeschlossen, dass der kleine Miesnick den Rabbi in eine Lage reinmanövriert hat, wo’s zur Frage der Selbstachtung wurde, den Vertrag abzulehnen. Und nachdem er erst mal abgelehnt hat, ist er zu stolz gewesen, zu uns zu kommen und einzugestehen, dass Drexler ihn aufs Kreuz gelegt hat. Na, und da nimmt man doch an, dass er an uns schreibt, an die Leute, die ihm den Rücken gestärkt haben, und sich erkundigt – was ist los? Was tut sich? Dass er Vorschläge macht, wie man taktieren soll. Oder dass er uns wenigstens mitteilt, wann er zurückkommt, damit wir ein paar Minen legen können.»
«Ach, Becker, du bist ein gescheiter Mensch, aber nicht gescheit genug, um den Rabbi zu verstehen.» Wasserman erhob sich langsam, und Becker half ihm die Stufen hinunter. «Du hast ihn nie verstanden. Der Rabbi macht keine faulen Drehs und sagt meistens genau das, was er meint. Er hat gesagt, er will beurlaubt werden; dass er müde ist und seine Ruhe haben möchte. Und das war’s eben – wie Ferien. Wenn unsereins Ferien macht, na, was bedeutet das? Es bedeutet, wenn’s Winter ist, gehen wir nach Florida, um ein bisschen Sonnenschein mitzukriegen. Wenn’s Sommer ist, gehen wir in die Berge, um womöglich der Hitze zu entfliehen. Wir sehen neue Leute. Wir sind vielleicht weg vom Geschäft. Die Frau braucht keine Hausarbeit zu machen oder sich übers Essen den Kopf zu zerbrechen. Man ruht sich eben ein bisschen aus. Aber für einen Menschen wie den Rabbi ist’s mehr. Ruhe, wie wir sie brauchen, hat er nicht nötig. Wenn er aufhört zu arbeiten, dann tut er das, weil er Inventur machen will.»
«Inventur machen? Was hat er denn für Bestände?»
«Du meinst – wie in einem Warenlager? Nein. Oder vielleicht doch. Sein Bestand, sein Warenlager – das ist er selber. Wenn er also Inventur macht, fragt er sich, wie viel er von sich selber verbraucht hat. Hat er einen guten Preis dafür bekommen? Wie viel hat er übrig behalten? Und soll er damit wie vorher hausieren gehen, oder soll er seine Geschäftsmethode ändern?»
Becker, der den alten Mann zum Wagen führte, blieb stehen und sah ihn an. «Bei Gott, Jacob, ich hab keine Ahnung, wovon du eigentlich redest.»
«Nein? Sag mir eins – möchtest du ein Rabbi sein?»
«Ein Rabbi? Gott behüte, nein!»
«Wieso nicht?»
«Wieso nicht? Ich werd dir sagen, wieso nicht. Zunächst mal bin ich gern selbständig. Seit ich als Junge Zeitungen verkauft hab … seitdem hab ich immer für mich gearbeitet. Ich lass mich nicht gern von ’nem Boss schikanieren. Und von einigen Leuten, die wir im Vorstand und … ja … als Chairman hatten … also wenn ich mir das von denen gefallen lassen müsste, das könnten die mir gar nicht bezahlen, nicht mal für das ganze Geld in Fort Knox.»
«Und für das Geld, das wir Rabbi Small zahlen?»
Becker, die Hand unter Wassermans Arm, schob ihn vorwärts. «Da müsstest du mich an Händen und Füßen fesseln.»
«Du hältst dich also für gescheiter als den Rabbi? In Europa, da war das anders. Da war der Rabbi der größte Mann in der Stadt. In der Schule gab’s einen Vorsteher, aber der Rabbi war wie der Vorsteher von der ganzen Gemeinde. In manchen Orten war er reich; in anderen konnte er kaum seinen Lebensunterhalt bestreiten. Aber das hat keine Rolle gespielt; er war der Vorsteher. Wenn der Rabbi eine Entscheidung traf, wer hätte da gewagt, dagegen anzugehen? Nicht mal der reichste Mann der Stadt.» Wasserman setzte sich im Wagen zurecht. «Wir haben also hier einen jungen Mann, und der fühlt sich der Sache gewachsen. Er wird Rabbiner. Aber jetzt kommt der Unterschied. In Amerika ist ein Rabbi keine so wichtige Persönlichkeit. Hier hat er massenhaft Bosse wie Marty Drexler oder Stanley Agranat oder Bert Raymond. Er merkt gleich, dass es
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