Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
Vom Netzwerk:
haben sie in den letzten zehn bis zwölf Jahren gemacht. Sie sind also Neureiche. Und viele von den bezaubernden Häusern, in denen wir eingeladen waren, sind bis unters Dach mit Hypotheken belastet. Tatsächlich entdecke ich hier und da eine Art von Knauserigkeit, die ich in Darlington nicht gefunden habe. Nimm doch nur diese Geschichte, dass Rabbi Small kein Gehalt bezieht, während er in Israel ist.»
    «Ja, aber du hast doch gesagt, er selber hat das so gewollt.»
    Rabbi Deutch nickte. «Das sagen sie. Aber du weißt ja, wie so was gemacht wird. Sie treiben einen Menschen in die Enge, und er hat praktisch keine Alternative. Anständig wäre es gewesen, die Frage überhaupt nicht aufs Tapet zu bringen, sondern ihm einfach weiter seine Schecks zu schicken.»
    «Und das stört dich? Willst du deshalb die Stellung nicht annehmen?»
    «Keineswegs – was mich angeht. Ich denke nur an den armen Small. Vielleicht ist es ein bisschen niederträchtig von mir, aber ich genieße die Situation. Verstehst du, hier habe ich die Oberhand, ich bin nicht auf sie angewiesen. Wir haben das, was wir brauchen, und ich muss mir hier keine langfristige Karriere aufbauen. Falls ich bleibe, wie lange kann das schon sein? Drei Jahre? Fünf? Höchstenfalls sieben. Solange ich hier bin, hat es keinen Krach, keine Krisen gegeben, wie sie in Darlington anscheinend jede zweite Woche fällig waren. Sie wissen genau, wenn ich einen Standpunkt vertrete, dann bleibe ich auch dabei.» Er lächelte selbstgefällig.
    «Aber du nimmst hier nicht gerade häufig Stellung», bemerkte sie.
    «Das stimmt wohl auch. Da der Job in meinen Augen nur befristet ist, habe ich bei den meisten Dingen nicht das gleiche Gefühl von Dringlichkeit wie in Darlington. Wenn dort irgendeine belanglose Frage auftauchte, musste ich manchmal ein Kernproblem daraus machen, und zwar nicht etwa, weil sie an sich wichtig war, sondern weil ich Angst davor hatte, wohin es führen könnte. Hier zerbreche ich mir nicht den Kopf. Sollte sich aus einem solchen Fall eine größere Krise entwickeln, fühle ich mich stark genug, sie dann zu meistern. Erinnerst du dich an Mr. Slonimsky in Darlington?»
    Mrs. Deutch lachte. «Abe Cohen war eine ganze Woche im Krankenhaus, Rabbi, und Sie haben ihn nicht besucht», zitierte sie.
    «Er hat auch kontrolliert, wie oft ich den Minjan versäumt habe.» Der Rabbi lachte in sich hinein.
    Da er jetzt guter Laune war, wagte sie sich vorsichtig ein zweites Mal an das Thema heran. «Hast du schon mal daran gedacht, dass es auch für mich eine willkommene Abwechslung war, Hugo?»
    «Wie meinst du das, meine Liebe?»
    «Als Rabbitzin musste ich vorsichtig und wohl überlegt sein. Mein Verhalten hätte ja deine Stellung beeinträchtigen können. Ich musste mich bei allen Freundschaften der Synagogenpolitik anpassen. Arlene Rudman hat mich praktisch jeden Morgen angerufen und eine geschlagene Stunde auf mich eingeredet. Und ich hab brav zugehört und ihr nie das Wort abgeschnitten, weil ihr Mann das große Geld in der Gemeinde hatte und zu deinen einflussreichsten Gönnern zählte.»
    «Aber du hast doch weiter mit ihr telefoniert, nachdem ich in den Ruhestand getreten war», wandte er ein.
    «Alte Gewohnheiten legt man schwer ab.» Sie blickte in die Ferne. «Wenn die beiden uns besuchten, hatte ich jedes Mal das Gefühl, sie inspiziert das ganze Haus.»
    «Was du nicht sagst! Ich dachte, du magst sie.»
    «Richtig gemocht hab ich sie nie, Hugo. Ich hab mich eben an sie gewöhnt. Und als du in den Ruhestand getreten bist, haben sich die Dinge für mich nicht geändert. Die Einstellung der Frauen in der Gemeinde zu mir und umgekehrt meine zu ihnen haben sich im Laufe von dreißig Jahren entwickelt. Das lässt sich nicht über Nacht revidieren. Ich hatte nie wirkliche Freundinnen; Freundschaften, die auf dem Gesichtspunkt beruhen, wie wichtig die Rolle der Ehemänner in der Gemeinde ist, bedeuten nicht viel.»
    «Aber nachdem ich …»
    «Das machte es nur schlimmer. Ich war nicht mehr die offizielle Rabbitzin und brauchte nicht um Rat gefragt zu werden. Und ich hatte keine Kinder oder Enkel, die ich besuchen und mit denen ich mich beschäftigen konnte. Bis auf Roy hatten wir nie junge Leute im Haus. Und ihn haben wir nur gesehen, wenn Laura ihn zu uns verfrachtet hat, weil sie etwas Ruhe haben wollte. Und ich hatte immer das Gefühl, er war dir im Weg und hat dich gestört. Ich glaube, er hat das auch empfunden, der arme Junge.» Sie schien am Rande der

Weitere Kostenlose Bücher