Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
befand, als Kanonenfutter zu dienen. Jack war 15, Roy gerade 14, als Winston Churchill zwei Tage nach dem deutschen Überfall auf Polen Nazideutschland den Krieg erklärte. Mit 18 wurde man eingezogen. Sich zu weigern galt in anständigen Kreisen als Hochverrat am Vaterland. Pazifisten waren als Feiglinge verpönt. Als Jack sich im Jahr 1942 mit seinen 18 Jahren bei der »Royal Navy« zum Dienst meldete und Roy ein Jahr später als Infanterist eingezogen wurde, war der Krieg schon weit fortgeschritten. An die Möglichkeit, dass sie eventuell nicht mehr zurückkommen würden, erlaubte sich keiner zu denken. Nach dem Abschied von seinen Eltern wartete Roy in der Stadtmitte von Leicester auf den Militärbus, der die neuen Rekruten zu ihrer Ausbildungsstätte bringen sollte. Zufällig befand sich die Haltestelle gegenüber seiner alten Schule.
»Na, wärst du nicht lieber dort auf dem Pausenhof wie in guten alten Zeiten?«, fragte ihn ein ehemaliger Schulfreund, der sich ebenfalls auf die Abenteuerreise in den Krieg aufmachte.
»Nicht im Leben! Mach mich jederzeit zum Soldaten!«, lachte Roy.
Ziel der Ausbildung war die Reise nach Fernost, wo die jungen Soldaten noch im Sommer 1945, als der Krieg in Europa schon vorbei war, helfen sollten, den unaufhaltsamen Vormarsch der Japaner im Südpazifik zu stoppen. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im August dieses Jahres bildeten den grausamen Schlusspunkt eines noch grausameren Kriegs. Roy landete als Teil der britischen Militäraufsicht in Malaysia, wo er als Militärverwalter, inzwischen von »Private Sperry« zu »Sergeant Sperry« befördert, nach eigenen Angaben »einen sehr gemütlichen Militärdienst« verbrachte.
Jacks Militärdienst war nicht ganz so gemütlich. Nach einer kurzen Trainingseinheit auf dem Ausbildungsschiff »HMS Gangees« auf der Themse, auf der sie nicht viel mehr lernten als einen Mast hochzuklettern und das Schiffsdeck zu putzen, galten die jungen Soldaten als seetüchtig. Jacks erster Kriegsposten sollte der Zerstörer »HMS Verdun« sein, ein zählebiges Kriegsschiff aus dem Ersten Weltkrieg, so genannt, um dem Sieg der alliierten Streitkräfte bei Verdun zu gedenken.
Die »HMS Verdun« hatte sich einen Namen als schwimmender Sarg für den »unbekannten Soldaten« gemacht, dessen Überreste am Eingang von Westminster Abbey unter einer schwarzen Gedenkplatte ruhen: »The Tomb of the Unknown Warrior«. Der bedrohlich anmutende Leitsatz » on ne passe pas« (»hier werden sie nicht durchkommen«) diente dem Schiff als mahnende Parole gegen potenzielle Feinde. Jetzt sollte die eindrucksvolle »Lady« in den Gewässern der Nordsee nach feindlichen Schiffen und U-Booten Ausschau halten.
»Unser Thema lautet heute: Wie lebt man als Christ und Soldat und in einer Umgebung, die alles andere als christlich ist?« Eine nachdenkliche Stille füllte den Raum.
Es war der letzte Bibelabend vor Jacks Abschied und vor seiner ersten Seefahrt auf der »Verdun«. Die Tage waren vorbei, in denen der Kirchgang eine Pflicht mit finanzieller Gegenleistung war. Liturgische Texte, die dem kindlichen Gemüt lediglich als Begleitmusik für die neuesten Kreuzworträtsel dienten, hatten in beiden Brüdern Spuren hinterlassen. Dieses Vermächtnis fiel einem jungen Pastor auf, der nach Highfields gezogen war und anfing, Jungs von der Straße in seine Pfadfindergruppe einzuladen und mit ihnen Bibelarbeiten zu machen. Der Krieg würde die erste wirkliche Belastungsprobe für einen neu entdeckten christlichen Glauben werden, der bis dahin nur im geschützten Rahmen der Heimatgemeinde sein Wirkungsfeld gehabt hatte.
Der Pastor räusperte sich und setzte wieder an.
»Ich drücke mich etwas klarer aus. Stellt euch vor, Jungs: Ihr lebt wochenlang auf engstem Raum in Gefahr, Not und Verzicht. Vielleicht habt ihr blutige und traumatische Szenen an der Front miterlebt, die euch an die Grenzen eurer emotionalen Kraft getrieben haben, vielleicht sogar Freunde verloren. Und plötzlich gibt es einen freien Abend, Geld in der Tasche, und ihr dürft in irgendeiner Großstadt der Welt Party machen. Ihr wisst genau, auf welche Weise eure Kameraden diese Zeit verbringen wollen. Und jetzt wollt ihr ihnen zeigen, dass es eine bessere Art zu leben gibt.«
Immer noch nachdenkliche Stille, dieses Mal mit einem Hauch Ratlosigkeit.
»Jack, was denkst du? Nimmst du deine Bibel und legst mit einer donnernden Predigt über das Laster der Sünde los und warnst deine müden, erschöpften,
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