Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
leidgeprüften Freunde vor dem göttlichen Gericht, das sie erwartet, falls sie sich zu viel Spaß erlauben?«
»Nein, Sir. Ich würde hoffen, ich meine, versuchen, schon im Vorfeld …« Jacks Stimme, sonst voll von Zuversicht bei jedem Thema, war plötzlich unsicher.
»… schon im Vorfeld das Vertrauen der Männer zu gewinnen, ihnen Freund zu sein. Sir, wenn unser Christsein echt ist und nicht die spießige, weltfremde Religion ist, für die viele Menschen es halten, dann …« Seine Stimme war jetzt klar und feurig. »Dann muss es in solchen widrigen Umständen erst recht sichtbar sein, ohne dass wir Menschen mit der Bibel über den Kopf hauen. Wenn Jesus uns dort nicht hilft, wo wir dem Tod ins Gesicht schauen, wo sonst? Sie haben selbst gesagt: ›Predige, und wenn es sein muss, mit Worten.‹«
»Gute Gedanken. Aber du hast die Frage nicht beantwortet. Was machst du mit dem freien Abend, Jack?«
»Ich würde hoffen, dass ich bestimmen darf, was wir an diesem Abend machen. Weil es ohne mich ohnehin keinen Spaß machen würde!«
Keine nachdenkliche Stille mehr, nur Lachsalven. Er hatte es nur im Spaß gesagt, fast nur im Spaß.
»Bei Jesus kam zuerst der Lebensstil, erst danach die Predigt«, schrieb er in seine Notizen nach diesem Abend. »›Und Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und Gunst bei Gott und Menschen.‹ Klingt sehr religiös, bedeutet aber einfach, dass die Leute ihn mochten. Zumindest diejenigen, die nicht neidisch auf ihn waren. Und weil das der Fall war, wollten sie hören, was er zu sagen hatte.«
Im Auftrag Seiner Majestät
Erst im Nachhinein kann man locker von Zeiten erzählen, in denen jeden Tag das eigene Leben auf dem Spiel stand. Als sie Tag und Nacht in den Kriegsgewässern der Nordsee Wache hielt, wusste die Mannschaft des Zerstörers »HMS Verdun« noch nicht, dass sie, abgesehen von den für die Nordsee typischen Stürmen, unversehrt davonkommen würde.
Das Schiff geriet zu keinem Zeitpunkt in feindliches Feuer, aber die Erwartung ebendieses war eine elementare Rund-um-die-Uhr-Strapaze auf engstem Raum. Manche der jungen Männer waren zum ersten Mal von zu Hause weg. Mit jedem Nerv des Körpers unter Daueranspannung zu leben, dafür war rigorose Disziplin erforderlich, ob an Deck auf der Wache nach feindlichen Angriffen oder unter dem Wasserpegel, wo unablässig nach nicht registrierten U-Booten geortet wurde. Nur ein kleiner Lapsus konnte den Untergang des Schiffs bedeuten.
Die kräfteraubende Anspannung, die sich in den Seelen der jungen Männer anstaute, war enorm. Einzige Gelegenheit für eine Atempause war ein Kurzurlaub alle paar Monate, abhängig allerdings von den Launen und Bewegungen der deutschen Kriegsflotte. Oder ein Kurzaufenthalt in einer kleinen Raucherecke an Bord des Schiffs, in der die Matrosen, die gerade keinen Dienst hatten, ihre hoch geschätzten Tabakrationen verrauchen durften. Soldaten, die über 18 waren, bekamen auch gelegentliche Rumrationen. Mehr als diese dürftigen Vergnügungen hatte das Leben auf dem Schiff nicht zu bieten.
» Darfst du als Christ nicht rauchen oder willst du nicht rauchen?«, wurde Jack einmal von Sam O’Brien gefragt, einem irischen Matrosen, der unter den rauen Bedingungen auf dem Kriegsschiff und der Trennung von seiner Familie schwer zu leiden hatte. Er und Jack machten gemeinsam Pause auf der Raucherbank an Deck. Es war windstill und das Schiff lief auf ruhigen Wellen. Anstatt seine neue Ration Tabak zu inhalieren, war Jack dabei, sie sorgsam in ein Tuch einzuschnüren.
»Ich kenne jemanden, der den Tabak mehr schätzt als ich«, grinste Jack. »Meine Mutter arbeitet in einer Strumpffabrik, und ihr Chef liebt diesen Tabak über alles. Er bekommt all meine Rationen zu Weihnachten.«
»Obwohl es so eine schlechte Billigmarke ist?«, fragte Sam verwundert.
»Ach, irgendwie gefällt er ihm. Er stopft den Tabak in seine Pfeife, meint, er würde ganz lecker schmecken. Mein Vater ist auch Kettenraucher, aber für ihn ist das Zeug nicht gut genug. Und ich rauche in der Tat nicht: Der Hauptgrund ist, dass ich nicht süchtig werden möchte wie mein Vater! Ich beiße mich lieber mit viel Lesen durch, ja, und stell dir vor, sogar mit Beten und Singen.«
»Hast du Zeit für mich?«, fragte Sam und warf einen kurzen Blick um sich, um sicherzustellen, dass sie alleine waren.
Jack war nicht entgangen, dass seinem Freund etwas auf den Nägeln brannte.
»Ja, sicher. Was ist mit dir, Sam?«
Sam rang kurz um Fassung.
»Sie
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