Am Rande wohnen die Wilden
sympathisch ihr Mahoney bisher gewesen war, durch diese Erklärungen gewann er in ihren Augen nicht. Allerdings räumte sie innerlich ein, könne es gut möglich sein, daß ein Reporter bestimmte Bemerkungen in seinem Artikel so aufgeblasen hatte, daß dieser schlechte Eindruck zustande kam.
Karin warf die Zeitung in einen Papierkorb, griff zu ihren beiden kleinen Koffern und blickte sich nach Wolfram Bracke um. Der »Mondmann«, wie sie ihn in Gedanken zu nennen pflegte, hatte bisher nur wenige Worte mit ihr gewechselt, und sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er sich im Trubel des irdischen Durcheinanders nicht sehr wohl fühlte. Er erschien ihr gehemmt und manchmal sogar etwas unbeholfen.
Es dauerte geraume Zeit, ehe sie ihn sah, und auch dann nur, weil er sich durch heftiges Winken bemerkbar machte. Er hatte bereits eines der kleinen City Cabs ergattert, war dabei, seine Koffer zu verstauen, und kam jetzt herüber, um ihr beim Tragen zu helfen. Zum erstenmal sah sie ihn lächeln, und plötzlich kam er ihr weder linkisch noch hilflos vor. Doch dann verzog er das Gesicht, suchte nach seinem Taschentuch, das er im letzten Moment zu fassen bekam, und erschütterte die Halle mit einem heftigen Niesen. Bis zum Hotel sprach er kein Wort mehr, sondern gab sich ausschließlich einer Beschäftigung hin: Er massierte seine schmerzende und geschwollene Nase. Sogar die Programmierung des City Cabs überließ er seiner Begleiterin.
Am Eingang der Hotelhalle blieb die junge Frau stehen. Erinnerungen stiegen herauf, die kaum Vergangenheit waren. Hier hatte sie in den vergangenen Wochen mit Lester Tür an Tür gewohnt. Die gemeinsame Aufgabe hatte keine Mißstimmung aufkommen lassen. Es waren wunderbare Wochen gewesen. Und nun stand sie mit einem fremden Menschen hier, einem Mann, den sie kaum kannte, mit dem sie bisher nicht mehr als zwanzig Worte gewechselt hatte.
Die junge Dame an der Rezeption nickte vertraulich und schickte ihr einen der kleinen Elektrowagen herüber, die die Koffer zum Lift transportierten. Gehorsam rollte der kleine Wagen, sich eng an ihrer Seite haltend, neben ihr zur Rezeption. Die junge Dame schob ein kleines Kärtchen mit dem Zimmercode in den Schlitz des Gebers, und das Wägelchen summte leise in Richtung Lift davon.
»Ich habe Ihnen dasselbe Zimmer geben lassen, in dem Sie sich schon eingelebt haben, Miss Bachfeld«, sagte die junge Dame, wobei sie Karins Namen »Beekfield« aussprach, und blickte aus großen Augen zur Tür. »Kommt Mister Sullivan noch nach?« fragte sie. »Ich glaube kaum.« Karin schüttelte den Kopf. »Ihn erwartet hier im Augenblick keine Aufgabe.«
In die großen Augen trat ein Schimmer des Bedauerns. Die junge Dame neigte den Kopf.
»Sie können mir das Zimmer neben dem von Miss Bachfeld geben!« Bracke war an den Tisch der Rezeption herangetreten, seine Koffer mit energischem Ruck abstellend, und lehnte sich über die polierte Fläche. Einen Augenblick musterte ihn die junge Dame konsterniert. Dann aber lächelte sie, mit ein paar schnellen Handgriffen erledigte sie die Formalitäten, reichte ihm den Schlüssel und sagte: »Bitte!«
Als sich Bracke umwandte, um nach seinen Koffern zu greifen, stand ein kleiner Liftwagen neben ihm.
Sie folgten dem summenden Roboter jedoch nur wenige Schritte, dann blieb Kann Bachfeld stehen, legte Bracke die Hand auf den Arm und bat ihn, allein auf sein Zimmer zu gehen. Bracke nickte, ohne eine Frage zu stellen, und betrat den Lift.
Ihr war eingefallen, daß Aurelhomme zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch in Leningrad war, da er wahrscheinlich erst anderntags seine Asiengruppe übernehmen wurde.
»Wurden Sie mir bitte einen Gefallen tun?« fragte sie die dunkle Dame an der Rezeption. Der Kopf mit den schwarzen Locken nickte nachdrücklich.
»Telegrafieren Sie bitte an Mister Aurelhomme, Leningrad, Ratsgebäude, Newa-Kai. Telegrafieren Sie folgenden Text: >Teilen Sie Mister Sullivan meinen Aufenthaltsort mit. Karin Bachfeld.<«
Die junge Dame schien sich über den schnellen Entschluß zu freuen. Sie strahlte über das ganze Gesicht. Karin erwartete jeden Augenblick, daß sie »Na bitte!« sagen würde.
»Ich werde ein Telex schicken«, erklärte sie, »und wenn Sie dann noch fünf Minuten warten könnten, werden Sie schon die Antwort haben.«
Sie verschwand in einer kleinen Kabine, und Karin hörte die Tasten des Fernschreibers ticken. Nur wenige Minuten, und die Typenkugel begann erneut zu tacken, diesmal von
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