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Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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ein kleines und ein großes — das große fuhr ausschließlich der Vater —, TV-Telefon, ein Haus am Stadtrand und was sonst noch alles zum guten Lebensstandard gehörte. Nur, ein Familienleben hatten sie nicht.
    Schließlich hatte sich Betty einer Gruppe von Jugendlichen angeschlossen, die aus gleichen Verhältnissen kamen und sich angeblich für eine schnellere Umgestaltung der alten Lebensverhältnisse einsetzten. Aber sie mußte bald einsehen, daß sie außer hohlen Reden und Nichtstun keine Perspektive kannten.
    Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit ihrem Vater, der ihr vorwarf, ihn mit ihren Schlagwörtern für dumm verkaufen zu wollen und im übrigen sein sauer verdientes Geld durchzubringen, war sie von zu Hause ausgerissen und hatte gegammelt. Es wurmte sie, daß der Vater teilweise durchaus nicht unrecht hatte. Außer Schlagwörtern hatte sie von ihren damaligen Freunden tatsächlich nichts gelernt. 
    Jetzt endlich habe sie in Frisco in der zentralen biologischen Abteilung des Institutes eine Arbeit gefunden, die ihr zusage, die ihr gestatte, ihre Kenntnisse anzuwenden.
    »Und Sie waren nie wieder zu Hause?« fragte Karin. Betty schüttelte den Kopf und schwieg. Sie schien erschöpft, aber auch erleichtert zu sein. Bestimmt hatte es ihr gutgetan, sich ihren Kummer vom Herzen zu reden. Gewiß war es nicht leicht, in einem Zeitalter des Umbruches, der Erneuerung zu leben, aber Karin sagte sich, daß hier in Amerika nicht weniger getan wurde als in Europa, um vor allem die Jugend in jeder erdenklichen Weise zu fördern.
    Sie bat Betty mit auf ihr Zimmer, aber wenn sie angenommen hatte, die Unterhaltung fortsetzen zu können, so sah sie sich enttäuscht. Das junge Mädchen war schweigsam geworden.
    Karin aber dachte an die Presseerzeugnisse, die sie hier gesehen hatte, an den Hunger des alten Summer nach dem Wohlstand, den ihm die Weißen jahrzehntelang vorgegaukelt hatten, und sie dachte an Mahoney, der die Rudimente der alten Gesellschaft dazu benutzte, um sich eine Befriedigung zu schaffen, die ihm beruflich versagt geblieben war.
    Und sie wußte, daß die Menschen in Amerika es schwerer hatten als die drüben in Europa, wo sich die neue Ordnung seit Jahrzehnten gefestigt hatte. Sie wußte auch, daß es falsch gewesen wäre, die letzten Überreste der alten Ordnung hier in Amerika durch übertriebene Administration beseitigen zu wollen. Natürlich durfte man nichts dem Selbstlauf überlassen, aber diese Überreste würden von selbst verschwinden wie die letzten Schornsteine in Leningrad und Berlin, nach und nach, von niemandem bemerkt. Und daß solche jungen Menschen wie Betty keinen Schaden bei diesem Umbruch erlitten, dafür konnte man jetzt schon sorgen.
    Heute gab es keine Macht mehr auf der Erde, die in der Lage gewesen wäre, das Rad der Geschichte auch nur um einen Zahn zurückzudrehen.
    Karin blickte auf. Betty hatte sich im Sessel zusammengerollt und schlief. 

     
    Als Karin am nächsten Morgen durch das Summen des Telefons geweckt wurde, schlief Betty noch immer. Die junge Dame von der Rezeption teilte mit, daß sie in der Halle erwartet werde.
    Freude und ein wenig Schmerz durchzuckten sie. Offensichtlich hatte Lester das Telegramm bekommen und war sofort hierhergefahren. Aber war das noch der Lester, den sie kennen- und liebengelernt hatte? War er nicht ein anderer geworden? Sie sah ihn anders seit dem Gespräch mit Betty. »Einen Augenblick!« rief sie ins Mikrofon. »Ich komme sofort.«
    Sie lief ins Bad, griff mit beiden Händen ordnend ins Haar, warf einen Mantel über den dünnen Schlafanzug und eilte zur Tür. Sie überflog den Raum mit einem Blick, trat an den Sessel, in dem Betty immer noch schlief, und zupfte die Decke zurecht, unter der ein glänzend dunkelbraunes Bein viel zu weit hervorsah, und lief zum Lift.
    Mit großen Schritten trat sie aus dem Gang zur Halle. An der Rezeption lehnte Wolfram Bracke und winkte ihr zu.
    Sie gab sich Mühe, ihre Enttäuschung nicht allzu offensichtlich zu zeigen und musterte ihn aufmerksam. Der helle Anzug stand ihm gut, sein Gesicht hatte schon einen leichten braunen Schimmer angenommen, auch aus dem am Halse offenen Hemd sah die gebräunte Haut hervor.
    Als sie stehenblieb, schob er sich mit dem Rücken vom Rezeptionstisch ab und kam ihr entgegen. Doch mitten in der Halle verhielt er plötzlich, verzog das Gesicht und nieste, daß sich sämtliche Besucher nach ihm umwandten. Sie sah, daß seine Nase immer noch rot und verschwollen

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