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Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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gesagt. Wie kam sie zu Spezialausdrücken aus dem Boxsport?
    »Wissen Sie, wer ich bin?« fragte er.
    Sie zog die Brauen hoch. Es sah aus, als denke sie angestrengt nach. Dann lächelte sie plötzlich und zeigte dabei zwei Reihen ebenmäßiger weißer Zähne. Das machte sie unerhört sympathisch. Gleich darauf aber schlug sie sich mit der Hand vor die Stirn und zog wieder die Mundwinkel herab. Abschätzend sah sie ihn an.
    »Natürlich!« erklärte sie. »Daß ich nicht gleich daraufgekommen bin. Du bist doch das Großmaul. Mahoney, der Lucky Jenkins aus dem Ring werfen will und schon Angst vor der Flasche Stone hatte.«
    Rod schnappte nach Luft. Er war schockiert. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß sie zum erstenmal mehrere zusammenhängende Satze zuwege gebracht hatte. Auch jetzt mußte er wohl ein sehr dummes Gesicht gemacht haben, denn sie lachte schallend. »Wer hat Ihnen erzählt, daß ich Angst vor Stone hätte?« fragte er wütend.
    Sie blickte ihn mit schief gehaltenem Kopf an. In ihren Augen blitzte es, als sie ihm erklärte, er sei schließlich, noch bevor der Kampf damals begonnen habe, auf Stone losgegangen und habe ihn zusammengeschlagen, ehe der andere an Gegenwehr überhaupt habe denken können.
    Diese Darstellung war ihm nicht unbekannt. Stones Trainer hatte sie über einige Zeitungen verbreiten lassen, die es mit der Wahrheit nicht genau nahmen. Daß er diese Lüge aber aus ihrem Mund hören mußte, wurmte ihn, ohne daß er sagen konnte, wieso. Schließlich war ihre Bekanntschaft erst wenige Minuten alt, und normalerweise konnte es ihm einerlei sein, was sie über ihn dachte. Er schwieg, weil er es für unter seiner Würde hielt, sich gegen derartig unsinnige Darstellungen zu verteidigen.
    Aber der Gedanke, daß sie anders war, als sie sich gab, ließ ihn nicht los. Mit Mädchen glaubte er sich auszukennen. Der provokative Ton paßte nicht zu ihr. Er beschloß, die Probe aufs Exempel zu machen.
    »Bestimmt sind Sie das Kind wohlhabender Eltern, das sich und anderen beweisen will, daß es auch ganz gut allein zurechtkommen kann«, sagte er und war ziemlich sicher, das Richtige getroffen zu haben. Trotzdem verblüffte ihn ihre Reaktion.
    »Du bist genauso ein Affe wie all die anderen, die sich einbilden, in einer intakten Gesellschaft integriert zu sein, und die doch immer noch in genau derselben Tasche stecken, aus der sie auch früher nicht herauszugucken wagten.« Sie fauchte ihn an. Ihre Augen funkelten erregt.
    Rod protestierte vage, mit nichts anderem als einer lauen unbestimmten Handbewegung, aber sie fuhr schon fort, ein wenig ruhiger: »Ganz unrecht hast du nicht. Meine Eltern sind wohlhabend. Sie haben ein kleines und ein großes Auto, ein Haus in der Stadt und eins auf dem Lande... und sie bilden sich ein, damit bewiesen zu haben, daß sie das Leben meistern können. Sie halten sich für unfehlbar. Dieser scheinbare Erfolg läßt sie glauben, nur ihre Methode gelte etwas in der Welt. Alles andere möchten sie sich unterordnen, sich und ihrem Stil, ihr kleines, mieses Leben zu meistern.«
    Sie war wütend und böse wie ein unartiges Kind. Eben noch hatte sie ihn von ganzem Herzen ausgelacht, und jetzt standen Tränen der Wut in ihren dunklen Augen. 
    Rod blickte angelegentlich auf die Straße. Er gab sich den Anschein, als horche er konzentriert auf den Lauf des Motors, und versuchte doch, sie von der Seite zu beobachten. Er verspürte etwas wie Achtung vor diesem Mädchen, das sich das Leben nicht leicht machte. Sie trat für ihre Ansichten von überholten gesellschaftlichen Begriffen ein und versuchte das nach außen durch ungewöhnliche Kleidung und rüde Redeweise zu dokumentieren. Dabei wußte sie sich, wenn es darauf ankam, ausgezeichnet auszudrücken, das hatte sie eben bewiesen.
    Es gab nicht mehr viele dieser überkritischen jungen Menschen, die ihre gesellschaftlichen Ideale von heute auf morgen erreichen wollten, und vielleicht auch bedurfte die neue Zeit ihrer nicht mehr. Sie wandelte sich stetig und schmerzlos.
    Er dachte an seine eigene Jugend in dem kleinen Dorf an der Grenze zu Mexiko, einem Dorf, das ebenso grau war wie seine Bewohner. Dort, in diesem von der heißen Sonne ausgedörrten Landstrich, wo sich der Unterschied zwischen Schwarz und Weiß äußerlich durch die Sonne und den Dreck, innerlich durch die Armut verwischte, hatten sie gelebt. Sein Vater, seine Mutter und seine Geschwister. Vater beteuerte ständig, daß es ihnen früher viel schlechter

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