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Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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gegangen sei, aber er machte vor den gleichen Leuten einen Diener, vor denen er früher auf dem Bauch gelegen hatte. Es dauerte Jahre, ehe sich die Menschen an die neue Zeit gewöhnt hatten, ehe sie begriffen hatten, daß Schule nicht bedeutet, die Arbeitskraft der Kinder für einige Stunden am Tag zu verlieren, sondern daß sie das Rüstzeug für freie Menschen vermittelt, die einander in die Augen sehen können. Hunderte ähnlicher Probleme mußten überwunden werden, und das brauchte Zeit.
    »Es gibt Leute, denen es schlechter gegangen ist als Ihnen«, sagte er aus seinen eigenen Gedanken heraus und spürte sofort ihre Ablehnung.
    Sie schüttelte den Kopf. »Man muß zu unterscheiden wissen zwischen äußerer und seelischer Armut.«
    »Hunger, Schläge und Dreck sind schlimmer als das Akzeptieren überkommener Vorstellungen mit vollem Bauch. Glauben Sie mir das!«
    Ein Seitenblick belehrte ihn, daß sich ihr Zorn keineswegs gelegt hatte. 
    »Eine ausgezeichnete Einstellung!« zischte sie. »Ich sagte dir schon einmal, daß ich dich für einen Feigling halte. Hiermit wiederhole ich es.«
    Rod hob die Schultern. »Einverstanden!« Er nickte. »Ich bin ein Feigling, und Sie wissen nicht mehr weiter. Wollen wir es damit genug sein lassen?«
    Sie blickte geradeaus, ohne zu antworten. Es war schwer an sie heranzukommen.
    Er ließ sie mit ihren Gedanken allein. Vielleicht würde sie wieder zum Ausgangspunkt ihres Streites zurückfinden, zu dem normalen Wunsch eines Menschen nach einem Leben voller Inhalt, voller Aufgaben und der Freude am Geschaffenen.
    Hatte denn er selbst damals anders gehandelt, als er das kleine, aufblühende Dorf verließ? War nicht auch er aus dem Kreis derer ausgebrochen, die sich freudig in den Dienst der neuen Gesellschaft stellten, auch wenn sie dabei ihr eigenes Ich in den meisten Fällen mehr oder weniger im Vordergrund sahen? Hatte er nicht diese Welt, die jeden brauchte, gegen eine andere eingetauscht, gegen eine der Scheinerfolge?
     
    Fern kamen die ersten Flachbauten der Stadt in Sicht. Es war eine Stadt, wie es viele im Nordosten der amerikanischen Region gab. Ehemals hatte sie fast ausschließlich aus kleinen Reihenhäusern bestanden, deren Abstände zum Stadtrand hin immer größer wurden, mit vielen kleinen Kirchen und einigen wenigen schloßähnlichen Villen in verkitschtem Baustil, mit zergliederten Fassaden und Spitztürmchen. Draußen vor der Stadt standen die Fabriken mit qualmenden Schloten und rasselnden Sägegattern.
    Heute war die Stadt anders. Zwar gab es noch die kleinen Kirchen und die Reihenhäuschen, die qualmenden Schlote und die rasselnden Gatter, aber in der Stadt standen einzelne glatte Betonklötze mit blitzenden Fassaden aus Glas und Metall, mit wuchernden Dachgärten und grünen Balkonen. Zum Rande der Stadt hin, dort wo es genügend Platz gab, wurden die Häuser flacher und breiter, die Gärten größer und vielgestaltiger. Wie in den Menschen der Region Altes und Neues nebeneinander lebte, so verband sich auch in der Stadt Altes und Neues zu einem nun schon gewohnten Bild.
    Rod blickte zur Seite. Das Mädchen saß nachdenklich mit hängenden Schultern neben ihm. Es sah aus, als sei sie kleiner geworden. Immer noch starrte sie geradeaus, vielleicht, ohne dabei die Bäume und Häuser zu sehen. Um ihre Mundwinkel zuckte es.
    »Und was wollen Sie jetzt mit sich anfangen?« fragte er, und er war gar nicht verwundert, als sie plötzlich zu schluchzen begann. Er kam sich überflüssig vor oder wie einer, der ein fremdes Gespräch belauscht, obwohl er genau weiß, daß es nicht für seine Ohren bestimmt ist, und er wußte, daß er nichts gegen die Tränen des Mädchens unternehmen konnte. Vielleicht war das gut so.
    Heulen befreit von seelischen Schlacken, sagte er sich, und er dachte daran, wie oft er früher gewünscht hatte, sich richtig ausheulen zu können, aber Männer durften nicht heulen.
     
    Als sie den Stadtrand von Lake City erreichten und die ersten Fassaden der mächtigen Betonquader an ihnen vorbeiflogen, zog sie ein viel zu großes Taschentuch aus der Hosentasche und schneuzte sich geräuschvoll. Dann versuchte sie das Tuch zurück in die Tasche zu schieben, aber es gelang nicht sofort. Kein Wunder bei der engen Hose und den Schalensitzen, sagte er sich. Ihr schmaler Körper verschwand fast in der weichen Polsterung. Sie stemmte sich mit dem Rücken gegen die Lehne und hob das Gesäß an.
    Rod schielte zur Seite. Wenn man glauben durfte, was die eng

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