Am Rande wohnen die Wilden
Assiette zurück, knüllte die Serviette zusammen und lehnte sich bequem im Sessel zurück. Die Kabine des geräumigen Düsenflugzeugs war fast leer. Neben ihm saß Horst Laurentz, ein langer, schlanker junger Mann, der während des bisherigen Fluges noch nicht ein Wort gesprochen hatte, und vor ihm unterhielten sich Karin Bachfeld und Jean-Louis Aurelhomme, wie es den Anschein hatte, sehr angeregt. »Eigentlich«, plauderte der Franzose, »wollte ich einen kurzen Zwischenaufenthalt in Paris vorschlagen, aber der Alte hat nicht mitgespielt. Ich sage Ihnen, Paris ist eine prächtige Stadt. Es hätte sich gelohnt.«
Die junge Frau lachte. »Wie konnten Sie erwarten, daß er einem solchen Vorschlag zustimmt? Erstens scheint unsere Anwesenheit am Lake North dringend erforderlich, und zweitens kennt er im Dienst keinerlei Zugeständnisse an private Interessen. Das müßten Sie eigentlich wissen, Jean-Louis.«
Wie sie »Jean-Louis« sagte, war einfach ein Genuß. Bracke spitzte die Ohren, ohne sich über seine Indiskretion Gewissensbisse zu machen. »Und wie ist der Alte außerhalb des Dienstes?« Es war klar, daß sich Aurelhomme die Gelegenheit nicht entgehen ließ, die sie ihm unbewußt geboten hatte.
Sie warf das Haar aus der Stirn. Es war eine typische Kopfbewegung, die Bracke schon öfter an ihr beobachtet hatte. Er genoß es, den beiden zuzuhören, und es interessierte ihn ungemein, wie Aurelhommes Balzerei enden würde. Er traute der blonden Frau auf dem Vordersitz zu, daß sie ihm eine prachtvolle Abfuhr erteilte.
»Außerhalb des Dienstes angelt er gern«, klärte sie ihn mit ernstem Gesicht auf. »Außerdem geht er sehr gern in das Theater, und hin und wieder ißt er ausgezeichnet.«
Aurelhomme bekam runde Augen ob ihrer fundierten Kenntnisse über Schesternjows private Interessen. »Woher wissen Sie das eigentlich alles so genau, Karin?«
Bracke konnte sich Aurelhommes Gesicht, obwohl er nur dessen Bücken sah, gut vorstellen. Er glaubte sich jetzt dem Geheimnis auf der Spur, das er so gern gelüftet hätte. Bestimmt glaubte er das.
Karin Bachfeld warf wieder das Haar zurück. »Ich weiß es eben«, sagte sie. »Schließlich ist er mein Vorgesetzter, und.«, einen Augenblick lang überlegte sie oder tat doch zumindest, als suche sie nach dem richtigen Wort, ». und außerdem ist er ein feiner Mensch.«
Aurelhomme antwortete nicht. Er mochte wohl spüren, daß sie seine Fragen nicht ernst nahm, und sicherlich fürchtete er auch ihren Spott. »Reicht Ihnen das, Jean-Louis?« fragte sie leise. »Oder möchten Sie gern hören, daß es mehr ist als ein kollegiales Verhältnis?«
Aurelhomme wehrte aufgeregt ab. »Aber nein! Wie kommen Sie nur darauf! So ist es mir viel lieber.«
Wieder lachte sie. »Ich würde es Ihnen bestimmt sagen, Jean-Louis, wenn es mehr wäre«, hörte Bracke sie flüstern. »Gerade Ihnen würde ich es bestimmt sagen.«
Er beobachtete den jungen Franzosen, der plötzlich ein Stück gewachsen zu sein schien.
»Und ich würde es Ihnen nur sagen«, setzte Karin Bachfeld hinzu, »weil Sie so schön unauffällig und durch die Blume fragen können.« Es schien ihr Mühe zu machen, ihre ernste Miene zu wahren.
Bracke mußte zugeben, daß Aurelhomme seine Niederlage ausgezeichnet verdaute. Nach einem kurzen Stutzen lachte er lauthals über den eigenen Reinfall, und er ließ sich auch durch die verweisenden Blicke des Sprachwissenschaftlers Laurentz nicht in seinem Heiterkeitsausbruch stören. Aber noch etwas fiel Bracke auf: Es war der ironische Ton, der aus Karin Bachfelds Worten geklungen hatte. Langsam begann er zu verstehen, weshalb es über sie keine Geschichtchen zu erzählen gab.
Die Maschine durchstieß die Wolken, senkte sich sacht über die letzten Häuser der Außenbezirke von Lake City herab und hob die lang ausgezogene Nase. Auf der glatten Betonpiste flog der unförmige Schatten heran, und als ihn die Räder berührten, ging ein Schütteln durch die Sitze. Mit nach vorn umgelenktem Strahl heulten die Triebwerke auf und bremsten den Koloß ab.
Sie verließen das Flugfeld durch den gedeckten Falttunnel, achteten kaum auf die guten Wünsche der Stewardeß, und sie erreichten den Vorplatz des Flughafens, ohne daß sich jemand um sie gekümmert hätte.
Die Sonne schien mit aller Kraft, und es dauerte nicht lange, bis sie ins Schwitzen kamen.
Karin Bachfeld und Aurelhomme unterhielten sich leise, aber erregt, und es fiel Bracke nicht schwer, aus ihrem Wortwechsel
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