Am Rande wohnen die Wilden
einem diffusen Dämmerlicht durchflutet, die Vorhänge schirmten ihn gegen die hochstehende Sonne ab. Er mußte sich erst an den Dämmer gewöhnen und riß die Augen auf. Bestimmt sah das ziemlich unbeholfen aus. Hoffentlich zog der neue Leiter der Subregion Europa aus seiner momentanen Verwirrung keine falschen Schlüsse. Er hatte sich bei Lupatzki über den Mann erkundigt.
Jean-Louis Aurelhomme war bis vor wenigen Wochen Sekretär des Regionalrates Nord gewesen und hatte jetzt turnusgemäß die Leitung des Subrates Europa übernommen. Diese Leitung wechselte jährlich zwischen den Sekretären der einzelnen Nationen.
Er galt als freundlich, aber auch als unnachgiebig. Seine Leitungsmethoden fanden nicht überall Anerkennung, aber aus anderen Gründen als die Brackes. Während man ihm, Bracke, vorhielt, er neige zu Alleingängen, warf man dem jungen Aurelhomme hin und wieder Unentschlossenheit vor. Wahrscheinlich wußte er das und versuchte es durch die von Lupatzki erwähnte Unnachgiebigkeit zu überspielen.
Als sich Brackes Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah er, daß der Leiter des Subrates aufgestanden war. Anscheinend hatte eben eine Beratung stattgefunden, die Sessel waren fast alle besetzt.
Bracke musterte die Gesichter. Er kannte niemanden näher, nur einige vom Sehen oder von gelegentlichen Gesprächen.
Aurelhomme winkte ihm, in seiner Nähe Platz zu nehmen. Dann stellte er ihn flüchtig vor.
Der Leiter des Subrates Europa war tatsächlich für die ihm übertragene Aufgabe beneidenswert jung, ungefähr dreißig, hatte ein braunes Gesicht und schräggestellte schmale Augen, die gar nicht zu seiner französischen Heimat zu passen schienen. Um diese Augen lag ein feines Netzwerk von Lachfältchen. Auch jetzt lächelte er über das ganze Gesicht.
»Tag, Monsieur Bracke«, er streckte ihm eine schmale Hand entgegen, die Bracke vorsichtig in seine Pranke nahm. »Sie werden sich hoffentlich schnell an die Verhältnisse auf unserer alten Erde gewöhnen. So bald werden Sie den Mond nicht wiedersehen.«
Bracke zuckte zusammen. Tatsächlich, von Diplomatie war bei Aurelhomme nicht übermäßig viel zu spüren.
Er schien sein Erschrecken bemerkt zu haben, die Fältchen um seine Augen vertieften sich, die Augen gleichsam mit einem Lächeln überschwemmend. Plötzlich sah er sehr sympathisch aus. »Mißverstehen Sie mich nicht, Monsieur Bracke. Das hat nichts mit einer Ablösung zu tun. Wir haben soeben beschlossen, Sie mit einer Sonderaufgabe zu betrauen.« Er wandte sich an die Versammelten: »Unsere Arbeit hier ist vorläufig zu Ende. Ich danke Ihnen für Ihre Entscheidung. Ich werde unseren Freund«, er legte Bracke die Hand auf die Schulter, »zu Schesternjow begleiten, damit er ihm erklären kann, um welche Dinge es sich handelt.«
Sie fuhren hinauf zur Etage Nord, wie sie den Flügel des Gebäudes nannten, in dem sich die Leitung eingerichtet hatte. Bracke war niedergeschlagen. Er war abgelöst, daran gab es keinen Zweifel mehr. Abgelöst wegen eines Problems, für das er immer noch keine Erklärung gefunden hatte. Er war sicher, daß der Bolide existiert hatte und vielleicht immer noch existierte.
Plötzlich hörte er Aurelhomme über den Boliden sprechen. Es klang, als plaudere er über Dinge, die ihn überhaupt nicht berührten.
»...eigentlich erstaunlich, wie wenig geschehen ist. Keine Panik, kein Geschrei. Die Menschen sind besonnener geworden in den letzten Jahrzehnten.«
Er trat an eines der Fenster und blickte hinunter auf den Fluß. Drüben blinkte die goldene Nadel der Admiralität vor dem tiefen Blau des Himmels. Daneben lag der Kreuzer »Aurora«, aus dessen vorderem Schornstein sich eine dünne Rauchfahne kräuselte.
Bracke holte Luft. »Was ist eigentlich mit dem Boliden? Hat man schon.«
Aurelhomme ergriff seinen Arm und deutete aus dem Fenster. »Nun sehen Sie sich das an!« rief er. »Dieser verrückte Museumswärter lernt es nie. Da haben wir vor wer weiß wie vielen Jahren einen Landanschluß für die >Aurora< geschaffen, aber unser alter Freund kann es nicht lassen, seinen antiquierten Ofen zu heizen. Trotz aller Ermahnungen. Wird doch Zeit, daß er in Rente geht.«
Er blickte Bracke an und lächelte wieder. Die tausend Fältchen um die Augen paßten nicht ganz zu seinem jungen Gesicht. »Aber was soll es?« sagte er und hob die Schultern. »Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns um einen alten Seebären zu kümmern.«
Bracke wurde ungeduldig. »Nun erklären Sie
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