Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
Vom Netzwerk:
wurde sie sich bewußt, daß sie seine Reaktion hätte vorausahnen müssen. 
    »Bitte nicht hier«, sagte er leise, bemerkte, daß sie mit sich selbst unzufrieden war, und legte ihr den Arm um die Schultern. Es sah aus wie eine durchaus freundschaftliche Geste.
    »Es sind nur die Schläfen, Karin«, versuchte er zu scherzen. »Findest du nicht, daß ich mich ansonsten ausgezeichnet gehalten habe?«
    »Vor allem finde ich, daß du dich nicht verändert hast.« Sie war sicher, daß sie recht hatte. Lester war zwar älter geworden, aber er war noch dasselbe Energiebündel wie früher, er brauchte den Erfolg wie damals, als er Astronaut war, oder wie in Berlin, als er sich als Student auszeichnete. Und er fühlte sich wohl, wenn seine Leistungen Anerkennung fanden, wenn die anderen zu ihm aufblickten. — Sie bemerkte, daß er an ihr vorbeisah.
    »Darf ich dir meine Freunde vorstellen?« sagte sie und wählte absichtlich den Begriff »Freund«.
    Das folgende Gespräch war kurz und inhaltsreich. Sullivan war gerade in dem Augenblick angekommen, als Baker die Gleiter zurückrief. Er war betroffen über den Verlust, den sie erlitten hatten. Vor allem, daß sein Schützling Mahoney verschwunden war, würde er dem Chefinspektor kaum verzeihen können. Er hatte Baker bittere Vorwürfe darüber gemacht, daß er die Gleiter nicht beim ersten Anzeichen einer Gefahr zurückbeordert hatte. Ein verhängnisvoller Fehler hatte eine Situation heraufbeschworen, die die ersten Kontakte mit den Fremden belasten würde, denn daß die seltsame Linse bemannt war, daran zweifelte wohl niemand.
    Lester hielt den Farbwechsel des Lichtbalkens für einen Versuch der Außerirdischen, eine Kommunikation zu beginnen, aber er war sich nicht im klaren darüber, wie man ihnen entgegenkommen konnte.
    Seine Vermutung schien sich zu bestätigen; der Lichtbalken wechselte jetzt häufig die Farbe, und zwar immer zwischen den beiden Grenzfällen orange und blaugrün, alle dazwischenliegenden Farben des Regenbogens durchlief er in schneller Folge.
    Die vier Mitarbeiter des Regionalrates Nord hörten sich die Ausführungen Sullivans schweigend an. Es war für sie sehr schwer, sich bereits jetzt ein Bild zu machen oder gar weitere Schritte festzulegen. 
    Vor allem Karin Bachfeld fiel es nicht leicht, sich überhaupt zu konzentrieren. Mehrmals ertappte sie sich, daß sie weit mehr der Stimme Lester Sullivans als seinen Worten lauschte.
    Sie nahm sich vor, um eine längere Pause zu bitten, um die bisherigen Ermittlungen zu analysieren und die nötigen Schritte vorzubereiten, aber sie kam nicht mehr dazu.
    Vom See her erscholl ein vielstimmiger Ruf. Sullivan faßte sie bei der Hand und zog sie zum Ufer hinab hinter sich her. Die anderen hatten Mühe, ihnen zu folgen.
    Die riesige Linse hatte sich etwa drei Meter über die Wasseroberfläche erhoben. Rings um das fremde Fahrzeug stieg ein feiner Wasserschleier hoch in die Atmosphäre. Die schon tiefstehende Sonne zauberte einen Regenbogen auf die winzigen Wassertropfen, die die Linse einhüllten. War dieser intensiv leuchtende Bogen an sich schon beeindruckend, so wurde das Bild vollends zur Farbenorgie, als der Lichtbalken zu zucken begann und bei jedem Aufflammen die Farbe veränderte. Auch dieses Licht brach sich vieltausendmal auf dem Wasser, der Oberfläche des Fahrzeugs und den Wassertröpfchen, die um die Linse herum heftig auf und nieder wallten.
    Karin Bachfeld hatte instinktiv das Gefühl einer nahenden Gefahr, und als sie sich in der am Ufer stehenden Gruppe umblickte, sah sie, daß es ihr nicht allein so ging. Die Gesichter der Menschen waren seltsam bleich, oder war es das Licht, das unheimliche fremde Licht, das sich auf den Gesichtern spiegelte und durch sein Aufflammen eine unheimliche Mimik erzeugte?
    In dieser Situation bewunderte sie Lester Sullivan. Er stand dem Ufer am nächsten. Alle anderen hatten sich einige Meter zurückgezogen, als wollten sie einen möglichst großen Abstand zwischen sich und die Fremden legen.
    Sie wußte, daß es in Lester nicht anders aussah als in ihnen allen, aber sie wußte auch, daß es gerade die kritischsten Situationen waren, in denen er sich beherrschte. Und das gab ihm später die Gelegenheit, die Hochachtung derer zu genießen, die diese Beherrschung nicht hatten. 
    Lester starrte die sich langsam nähernde Linse mit brennenden Augen an. Und es war sein Blick, dieser feste, keinen Deut von seinem Ziel abweichende Blick, der seine Begleiter auf ihren Platz

Weitere Kostenlose Bücher