Am Rande wohnen die Wilden
entzweien, wenn sie das alte Thema berührten.
Und trotzdem entfernten sie sich langsam, aber unaufhaltsam voneinander. Die gelegentlichen Telefonate wurden seltener, und irgendwann konnten auch die Arbeitsbesprechungen von ihren Mitarbeitern wahrgenommen werden.
Sie lächelte über sich selbst, als sie ihre Aufregung spürte und die Freude, ihn wiederzusehen. Gewiß war er grauer geworden, aber bestimmt würden seine Bewegungen nichts von ihrer Geschmeidigkeit und katzenhaften Kraft verloren haben, und bestimmt würde er immer noch solch modische Anzüge und Hemden bevorzugen, wie er sie vor Jahren getragen hatte.
Als sie die Straßensperre in Höhe des Sees erreichten, waren sie ein wenig enttäuscht. Die dichtstehenden Bäume versperrten ihnen die Sicht. Erst als sie die ersten Bäume hinter sich gelassen hatten und ein gutes Stück Weges zu Fuß zurückgelegt hatten, sahen sie in der Nähe einer Fahrzeugkolonne eine Menschengruppe am Ufer stehen. Keiner wandte sich nach ihnen um, auch dann nicht, als sie bis auf Rufweite herangekommen waren. Die Menschen standen und starrten auf das Wasser hinaus, starrten auf etwas, das die Näherkommenden noch nicht sehen konnten, da es die Baumkronen verdeckten.
Plötzlich begann Aurelhomme zu laufen. Sie hatten Mühe, ihm zu folgen. Und dann blieb er wie angewurzelt stehen, und auch Karin Bachfeld hielt plötzlich inne. Was sie sah, faszinierte sie. Die Gedanken an Lester Sullivan waren vergessen.
Mitten auf dem See lag ein Fahrzeug. Ein Fahrzeug, wie sie es noch nie gesehen hatte. Ein Ding, das nicht von Menschenhand geschaffen sein konnte. Fine gelbschimmernde, wie von innen heraus leuchtende, einseitig abgeplattete Linse, die mit ihrer flachen Unterseite wenige Meter über dem ruhigen Wasser schwebte. Das war das Eigenartige: Sie berührte das Wasser nicht, und das Wasser war völlig ruhig, zeigte nicht die Spur eines Wirbels oder die kleinste Welle.
Das erstaunlichste war aber ein intensiv blaugrün strahlender Lichtbalken, der sich zwischen den wenigen, langsam ziehenden Wolken in der Bläue des Himmels verlor.
»Sie haben ihre Beleuchtung verändert«, flüsterte der Sergeant. »Was hat sich verändert?« fragte sie schnell. Jede Veränderung konnte wichtig sein.
Aber Sergeant Bubble winkte ab. »Nichts Umwerfendes, Miss«, sagte er. »Vorhin, als ich hier wegfuhr, um Sie abzuholen, war das Licht orange. Jetzt ist es blau. Muß nicht unbedingt bedeutsam sein, nicht wahr?«
»Muß nicht, kann aber«, sagte Bracke hinter ihnen, und Karin stimmte ihm zu.
Sie hatte in der Gruppe am Ufer Lester Sullivan entdeckt. Sie hatte es zwar nie zugegeben, aber sie stellte mit einigem Ärger fest, daß ihr Herz schneller schlug. Außerdem war sie so aufgeregt, daß ihr fast die Knie weich wurden.
Sie sah ihn nur von hinten. Die breiten Schultern, der tiefe Haaransatz im Nacken, die gesammelten Bewegungen, die eine verhaltene, aber um so explosivere Energie verrieten. Er trug einen dunkelblauen Anzug, der, wie nicht anders zu erwarten, ausgezeichnet geschnitten war.
Ohne es zu bemerken, ging sie schneller. Als sie sich der Gruppe am Ufer bis auf wenige Meter genähert hatte, wandte sich Lester, wie unter einem inneren Zwang, um. Mitten in der Bewegung hielt er plötzlich inne.
Nie hätte Karin später sagen können, wer von ihnen dem anderen zuerst entgegengeeilt war, plötzlich jedenfalls lagen sie sich in den Armen. Und all das, was sie seit Jahren zurückgehalten hatten, legten sie in wenige Worte, einige lange Blicke.
Als sie die erstaunten Gesichter ihrer Begleiter sahen, als ihnen ihre Umgebung wieder zu Bewußtsein kam, lösten sie sich langsam und widerwillig voneinander. Lester Sullivan hielt Karin ein Stück von sich ab. Er lächelte, aber seine Augen blickten ernst.
»Es ist unverzeihlich«, flüsterte er, »sich zwischen all den Menschen so gehenzulassen.«
Sie schüttelte den Kopf und versuchte ebenfalls ein Lächeln. »Es trifft dich sehr, daß du dich einen Augenblick nicht beherrschen konntest. Habe ich recht?«
Jetzt lächelten auch seine Augen, und es tat ihr wohl, als sie es sah.
»Du kennst mich noch sehr gut, Karin. Du hast meine Mucken nicht vergessen.«
»Das ist auch nicht leicht. Denn schließlich hattest du auch gute Eigenschaften.«
Er wollte das Kompliment erwidern. »Du siehst gut aus. Fast unverändert.«
»Und du bist grau geworden, Lester.« Sie strich ihm zaghaft über das Haar an den Schläfen. Er richtete sich auf. Zu spät
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