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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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einem
talmudischen Dreh, Rabbi? Mit einem … Wie heißt das? Ein Pil… irgend so was.»
    «Mit einem Pilpul , meinen Sie? Warum nicht, wenn es
uns weiterhilft.»
    Lanigan wandte sich an Beam: «Der Talmud ist das jüdische
Gesetzbuch, und ein Pilpul ist … na, eine besondere Art zu
argumentieren.» Sein Grinsen wurde breiter. «Damit hat er mich schon mal aufs
Kreuz gelegt, der Rabbi. Es ist so eine Haarspalterei …»
    «Eher ein Aufspüren von feinsten Unterscheidungen», verbesserte
der Rabbi.
    «Nichts gegen feinste Unterscheidungen», sagte Beam wohlwollend,
«aber was macht es in unserem Fall aus, ob der Eimer voll war oder leer, aus
Metall oder aus Plastik?»
    «Es gibt vier Möglichkeiten …» Der Rabbi war aufgestanden
und ging im Zimmer auf und ab, die Hände tief in den Hosentaschen. «Der Eimer
kann aus Metall sein und voll oder leer; oder aus Plastik und voll oder leer … gut;
nehmen wir erst mal den Unterschied zwischen dem vollen und dem leeren Eimer:
Der volle ist schwer und lässt sich nicht ohne weiteres verschieben; der leere
dagegen ist leicht. Wenn also der Eimer voll war, kann man ihn als festes Hindernis
betrachten. Einem Nüchternen würde es nicht einfallen, dagegen zu fahren – so
wenig wie gegen eine Mauer. Aber wenn der Eimer leer war? Dann ist er
verhältnismäßig leicht, und selbst wenn man ihn streift, kann dem Wagen nicht
viel passieren. Und es macht auch nichts, wenn er umkippt – es fällt ja nichts
heraus. Aber …» Er hob mahnend den Zeigefinger: «Für einen nüchternen Fahrer
wäre es in keinem Fall ein Problem; er hat auf jeder Seite mindestens dreißig
Zentimeter Platz … Das reicht sogar für einen Fahrer von meinem Kaliber. Und
wie steht’s mit dem betrunkenen Fahrer? Er hätte wahrscheinlich
Schwierigkeiten, wenn der Eimer voll ist. Aber er weiß, dass er leer ist …»
    «Halt!», unterbrach ihn Beam. «Woher weiß er, dass der Eimer
leer ist?»
    «Weil er in der Garage stand. Wäre der Eimer voll gewesen,
hätte er auf dem Gehsteig gestanden, wo Hirsh ihn am Abend zuvor hingestellt
hatte … Wir haben also einen Mann, der seinen Wagen in eine schmale Garage
fahren will. Er weiß, dass er links aufpassen muss – da ist die Wand; rechts
hingegen ist lediglich ein leerer Eimer … Selbst im Rausch wüsste er in seinem
Unterbewusstsein, dass das kein ernsthaftes Hindernis ist; trotzdem würde er
wahrscheinlich bestrebt sein, nicht dagegen zu fahren, und seine Fähigkeit, es
zu vermeiden, könnte also gewisse Rückschlüsse auf den Grad seiner
Betrunkenheit – oder Nüchternheit – zulassen. Aber, wohlgemerkt: es ist kein Metall eimer,
der den Kotflügel zerbeulen oder den Lack beschädigen kann – es ist ein Plastik eimer;
ein leerer Plastikeimer. Wenn man gegen einen leeren Plastikeimer fährt,
passiert gar nichts. Er fällt um. Er rutscht beiseite …»
    Er verfiel in einen leiernden Singsang; sein Zeigefinger
beschrieb rhythmisch Kreise in der Luft.
    «Wenn es jemand nichts ausmacht, gegen einen leeren
Metalleimer zu fahren, dann macht es ihm bei einem leeren Plastikeimer erst
recht nichts aus …» Er wandte sich an Lanigan: «Nachdem Sie sich dafür
interessieren – diese Art der Argumentation ist typisch für den Talmud. Man
nennt es kal w’chomer . Das bedeutet ‹leicht und schwer›. Es kommt dabei
darauf an, zu demonstrieren: Wenn ein Argument stichhaltig ist, muss ein
zweites, stärkeres Argument, das in die gleiche Richtung weist, die Sache noch
stichhaltiger machen und kann darum als Beweis angesehen werden … In diesem
Licht betrachtet, stellt der leere Plastikeimer kein Hindernis dar – Hirsh kann
ihn sogar gerammt haben, und er ist am Kotflügel abgeprallt und in seine
jetzige Lage zu stehen gekommen.»
    Der Polizeichef schüttelte bewundernd den Kopf. «Na, Charlie?
Jetzt hat er Sie fertig gemacht. Der leere Plastikeimer schmeißt Ihre ganze
Theorie übern Haufen.»
    «Immer langsam … Rabbi, wie erklären Sie sich, dass Hirsh
den Wagen haarscharf vor der Garagenwand zum Halten brachte? Eine verdammt gute
Leistung für einen, der so besoffen ist, dass er den Motor abzustellen
vergisst.»
    Der Polizeichef schaute erwartungsvoll auf den Rabbi, doch
der schien die beiden völlig vergessen zu haben. Er saß zurückgelehnt in seinem
Sessel und starrte zur Decke.
    «Na?», drängte Beam.
    Der Rabbi ging nicht auf die Frage ein. «Es gibt noch eine andere
Art der talmudischen Argumentation», murmelte er wie im Selbstgespräch; «das im

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