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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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«Sie haben da Verschiedenes nicht erwähnt, Lanigan, weil es uns allen
bekannt ist, wahrscheinlich. Zum Beispiel, dass Hirsh Alkoholiker war … haben
Sie nicht selbst betont, dass Alkoholiker selten Selbstmord begehen?»
    Beam lächelte. «Ach, das ist nur eine von diesen
Verallgemeinerungen, Rabbi. Über Alkoholismus gibt’s so viele Theorien wie
Wissenschaftler, die sich damit befassen … Damit kommen wir nicht weiter.»
    «Na schön … Was anderes: Alles spricht dafür, dass Hirsh seine
Frau sehr geliebt hat. Allein die hohe Lebensversicherung zeigt, wie sehr er um
ihr Wohl besorgt war. Glauben Sie, dass er sich das Leben genommen hätte, ohne
eine Zeile für sie zu hinterlassen?»
    «Das gibt’s oft. Manchmal findet man auch den Brief erst später,
oder es lässt ihn jemand verschwinden – eben wegen der
Versicherungsbedingungen, nicht wahr?»
    «Hm … Ja. Aber nach allem, was wir wissen, hat in seinem ganzen
Verhalten nichts darauf hingewiesen, dass er Selbstmord begehen könnte.»
    «Nach allem, was wir wissen, ja. Aber was heißt das schon? Wer
weiß, was einen Mann dazu treibt? Vielleicht hat für Hirsh die Tatsache eine
Rolle gespielt, dass Jom Kippur war – das ist doch so was wie der Tag
des Gerichts, oder?»
    «Was wollen Sie damit sagen?», fragte der Rabbi.
    «Dass er es vielleicht schon lange vorhatte, und dann die Wodkaflasche,
die ihm am Tag des Gerichts sozusagen in den Schoß fällt … Kann man doch fast
als ein Omen auslegen, wenn man will.»
    «Ich glaube eher, dass er die unerwartete Flasche dankbar als
gute Ausrede benutzt hat», meinte der Rabbi. «Wir wissen, dass er sie auf dem
Rastplatz ausgepackt hat, und wenn er dort zu trinken anfing, muss er ganz
schön blau gewesen sein, als er zu Hause ankam.»
    «Und trotzdem war er in der Lage, eine Strecke von gut zehn
Meilen zu fahren und anschließend noch glatt in die Garage zu kommen, ohne die
Wand auf der einen Seite und die Mülltonne auf der anderen zu streifen?»
    Der Rabbi sah Beam an. «Das ist Ihr ganzer Beweis, ja? Dass
er ohne Unfall heimgekommen ist und den Wagen heil in die Garage gefahren hat?»
    «Das», antwortete Beam, «und die Tatsache, dass er nüchtern
genug war, die Scheinwerfer auszuschalten, aus dem Wagen zu klettern, die
Garagentür zu schließen und dann auf den Beifahrersitz zu steigen. Nur den
Motor hat er nicht abgestellt … Wenn er so betrunken war, dass er nicht wusste,
was er tat – warum ist er dann nicht gleich ins Haus gegangen? Er wusste, dass
er drinnen allein sein würde, ungestört. Auch wenn er nicht regelmäßig zur
Synagoge ging, muss er gewusst haben, dass der Gottesdienst kaum vor zehn zu Ende
sein würde.»
    «Alkoholiker haben oft ein ausgeprägtes Gefühl dafür, wo
sie trinken können und wo nicht», warf Lanigan vorsichtig ein. «Vermutlich war
für ihn das Haus tabu. Aber was anderes: Warum hat er sich vorn in den Wagen
gesetzt, nachdem er die Garagentür geschlossen hatte? Nach Ihrer Theorie hat er
den Selbstmord geplant, und wahrscheinlich wollte er sich vorher mit Alkohol
betäuben – schön. Warum ist er dann aber vorn eingestiegen? Hinten sitzt man bequemer,
und der Rücksitz war viel leichter für ihn zu erreichen.»
    Beam zuckte die Achseln. «Wahrscheinlich aus Gewohnheit … Ausschlaggebend
ist nur, dass er offensichtlich nüchtern genug war, um sich durch den schmalen
Raum zwischen Mülltonne und Garagenwand zu quetschen und …»
    «Moment mal», unterbrach der Rabbi. «Was ist das für ein Mülleimer?
Er sieht aus wie eines von diesen modernen Plastikdingern.»
    «Stimmt. Es ist ein roter Plastikeimer mit einem Deckel. Faßt
fünfundsiebzig Liter.»
    «War er voll oder leer?»
    «Er muss leer gewesen sein, David», bemerkte seine Frau. «Es
war ein Freitag …» Sie erklärte Beam, dass die Müllabfuhr bei den Häusern mit
geraden Nummern am Freitagvormittag vorbeikam. «Meistens stellen die Männer am Donnerstagabend
die Mülleimer vors Haus, und die Frauen holen sie am nächsten Morgen wieder
rein.»
    «Ihre Frau hat Recht», sagte Lanigan. «Die Mülltonne war leer.»
    «Na und?» Beam zuckte die Achseln.
    «Das ist ein großer Unterschied», belehrte ihn der Rabbi, wobei
seine Stimme einen dozierenden Tonfall annahm. «Es besteht einmal ein
Unterschied zwischen einem vollen und einem leeren Eimer; zum anderen besteht
ein noch größerer Unterschied zwischen einem Eimer aus Zinkblech und einem aus
Plastik.»
    Lanigan grinste. «Kommen Sie wieder mit so

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