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Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Titel: Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Butler
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Saids verkörpert finden.
    Erstaunlicherweise haben wir darüber nachzudenken, was wir am Ende lieben können, um die Ansprüche des Nationalismus hinter uns zu lassen. Betrachten wir zwei Äußerungen, eine von Hannah Arendt und die andere von Mahmoud Darwish. Beide scheinen im Gespräch miteinander zu sein, und ich führe sie hier als Beispiel für ein Leben jenseits des Nationalismus an. Arendt wurde, wie wir wissen, von Gershom Scholem und anderen nach der Veröffentlichung von Eichmann in Jerusalem kritisiert. Scholem wirft Arendt »Herzlosigkeit« vor, weil sie sich auf die ihrer Ansicht nach unangemessenen Visionen der jüdischen Politik jener Zeit konzentriert. Scholem schrieb ihr 1963 aus Jerusalem: »Es gibt in der jüdischen Sprache etwas durchaus nicht zu Definierendes und völlig Konkretes, was die Juden Ahabath Israel nennen, Liebe zu den Juden. Davon ist bei Ihnen, liebe Hannah, wie bei so manchen Intellektuellen, die aus der deutschen Linken hervorgegangen sind, nichts zu merken.« 43 Arendt bestreitet in ihrer Erwiderung zunächst, dass sie von der deutschen Linken herkommt (und sie war auch tatsächlich keine Marxistin), sagt dann aber etwas sehr Interessantes auf den Vorwurf, sie liebe das jüdische Volk nicht genug:

    »Sie haben vollkommen recht, dass ich eine solche ›Liebe‹ nicht habe, und dies aus zwei Gründen: Erstens habe ich nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv ›geliebt‹, weder das deutsche, noch das französische, noch das amerikanische, noch etwa die Arbeiterklasse oder was es sonst so noch gibt. Ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig. Zweitens aber wäre mir diese Liebe zu den Juden, da ich selbst jüdisch bin, suspekt. Ich liebe nicht mich selbstund nicht dasjenige, wovon ich weiß, dass es irgendwie zu meiner Substanz gehört. Um Ihnen klar zu machen, was ich meine, möchte ich Ihnen von einer Unterhaltung berichten, die ich in Israel mit einer führenden politischen Persönlichkeit hatte, die die meines Erachtens verhängnisvolle Nicht-Trennung von Religion und Staat verteidigte und dabei sinngemäß sagte – ich besinne mich auf den genauen Wortlaut nicht mehr –: ›Sie werden ja verstehen, dass ich als Sozialist nicht an Gott glaube, ich glaube an das jüdische Volk.‹ Ich bin der Meinung, dass dies ein furchtbarer Satz ist, und ich habe nicht geantwortet, weil ich zu erschrocken war, aber ich hätte antworten können: Das Großartige dieses Volkes ist es einmal gewesen, an Gott zu glauben, und zwar in einer Weise, in der Gottvertrauen und Liebe zu Gott die Gottesfurcht bei weitem überwog. Und jetzt glaubt dieses Volk nur noch an sich? Was soll daraus werden? – Also, in diesem Sinne ›liebe‹ ich die Juden nicht und ›glaube‹ nicht an sie, sondern gehöre nur natürlicher- oder faktischerweise zu diesem Volk.« 44
    In Ein Gedächtnis für das Vergessen , seiner literarischen Darstellung der Bombardierung Beiruts 1982, beschreibt Darwish eine Szene mit seiner jüdischen Geliebten. Sie haben sich gerade geliebt und er wird schläfrig. Er weiß, dass er sich bei der israelischen Polizei melden muss, um nicht ins Gefängnis zu kommen oder auf Dauer ausgewiesen zu werden. In der folgenden Passage spricht er in der ersten Person. Er fragt:

    »›Kennt die Polizei diese Adresse?‹
›Glaub ich nicht. Aber die Militärpolizei kennt sie. Hasst du Juden?‹
›Momentan liebe ich dich.‹
›Das ist keine eindeutige Antwort.‹
    ›Und keine eindeutige Frage. Es ist, wie wenn ich dich fragen würde: Liebst du Araber?‹
›Das ist keine Frage.‹
›Und wieso ist deine Frage eine Frage?‹
›Weil wir Probleme damit haben. Wir brauchen eine Antwort nötiger als ihr.‹
›Bist du närrisch?‹
    ›Ein bisschen. Aber du hast mir noch nicht gesagt, ob du Juden liebst oder sie hasst.‹
    ›Ich weiß nicht – und ich will es auch nicht wissen. Was ich weiß, ist, dass ich Euripides und Shakespeare liebe, und gebratenen Fisch liebe ich und gekochte Kartoffeln, die Musik von Mozart, die Stadt Haifa. Und ich liebe Weintrauben, geistreiche Gespräche, den Herbst, Picassos blaue Periode. Ich liebe Wein, das Obskure an ausgereifter Poesie. Aber die Juden, das ist keine Frage von Liebe oder Hass.‹
    ›Bist du närrisch?‹, fragt sie mich.
›Ein bisschen.‹
›Liebst du Kaffee?‹
›Ich liebe Kaffee, ich liebe den Duft von Kaffee.‹
    Sie steht auf, ohne alles, sogar ohne mich. Ich spüre den Schmerz derer, denen

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