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Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Titel: Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Butler
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(1913–1920) um ein Verständnis des Messianischen im Kontext des Problems der Vergebung. Vergebung steht gegen Vergeltung, weniger als deren Gegenteil denn als das, was sich außerhalb ihrer vollzieht. Wird die Gegenwart im Gedanken des »Fortschritts« und der »Entwicklung« immer in Begriffen der Zukunft verstanden, zu der sie führt, oder der Vergangenheit, aus der sie kommt, so erscheint der Vergeltung die Gegenwart immer im Licht einer Vergangenheit, die Schaden, und einer Zukunft, die Rache und Ausgleich birgt. 1921 stand für Benjamin dann fest, dass die Entsühnung in der Vergebung mit dem radikalen Streik verbunden ist, dem Streik, der Arbeiter und Bürger von der Fesselung an einen staatlichen Unterdrückungsapparat befreien und den Staatsapparat selbst zum Stillstand bringen würde. Es ging nicht um die Ablehnung dieser oder jener Politik des Staates, sondern um die Negation des Staates selbst, eine Negation, die mit der Befreiung von den Fesseln der Schuld einhergeht, auf die Rechtsregime bauen. Von der Schuld befreien kann man sich nur, indem man zunächst Nein zum Staat sagt, aber dazu muss man seine Ketten schon abgeworfen haben oder man muss schon dabei sein, sie abzuwerfen. Hier führt nicht das eine zum anderen, sondern beides vollzieht sich in eins, und die Zeit dieses »in eins« ist die Jetztzeit des Ausnahmezustandes.
    Wichtig ist, dass dieser Akt der »Vergebung« im Bild des Sturms gefasst wird – der erste »Sturm«, den ich in Benjamins Werk finde – und dieser Sturm löscht alle Spuren der Schuld, alle Chiffren, die auf getanes Unrecht zurückverweisen. Man würde erwarten, dass dieser Sturm Schutt und Trümmer zurücklässt, aber seine eigenartige Kraft liegt darin, jede Spur von Missetat zu tilgen. So spricht Benjamin etwa von der unermesslichen Bedeutung, die der Gerichtstag hat, »jener ständig zurückgedrängte, von der Stunde jeder Untat so unablässig ins Zukünftige flüchtende« Tag. Der Tag des Gerichts kommt also nicht wirklich; er wird fortwährend verschoben und überwindet damit den Gedanken eines Tages der letzten Abrechnung, an dem alles Unrecht kompensiert und der Vergeltung freie Bahn gegeben wird (was auch immer das bedeuten mag). Da der Gerichtstag eben der Tag ist, der nie kommt, ist es der »Sturm der Vergebung«, der diesen letzten Tag verunmöglicht. Wie Kafkas kaiserliche Botschaft kommt das Urteil glücklicherweise nie an, und der Grund scheint zu sein, dass alle Beweise durch diesen Sturm zerstört sind. In Trümmern liegt letztlich das Projekt der Vergeltung selbst.
    Benjamin schreibt über die Bedeutung des Gerichtstags:

    »Diese Bedeutung erschließt sich nicht in der Welt des Rechts, wo die Vergeltung herrscht, sondern nur, wo ihr, in der moralischen Welt, die Vergebung entgegentritt. Diese aber findet, um gegen die Vergeltung zu streiten, ihre mächtige Gestaltung in der Zeit. Denn die Zeit, in welcher Ate dem Verbrecher folgt, ist nicht die einsame Windstille der Angst, sondern der vorm immer nahenden Gericht daherbrausende laute Sturm der Vergebung, gegen den sie nicht ankann. Dieser Sturm ist nicht nur die Stimme, in der der Angstschrei des Verbrechers untergeht, er ist auch die Hand, welche die Spuren seiner (Untat) vertilgt, und wenn sie die Erde darum verwüsten müsste .« 85
    Vergebung vollzieht sich nicht in der Stille oder in der Innerlichkeit. Der Sturm macht jede Erwartung zunichte, Vergebung werde erreicht, wenn alle Leidenschaften schweigen; dieser Sturm ist zugleich natürlich und göttlich und weist dennoch auch menschliche Merkmale auf: Stimme und Hand. Die Stimme ist laut vernehmlich und Vergebung das, was buchstäblich hörbar den Angstschrei der Bestraften übertönt, aber er ist auch die Hand mit der Macht zur Löschung der Missetaten, eine destruktive Macht, die die Welt verwüsten muss, um die Spuren dieser Missetaten zu tilgen. Der Sturm ist nicht eigentlich ein Bild für das Göttliche, auch wenn er göttliche Züge besitzt; ist er aber eine solche göttliche Gestalt, dann keine der Vergeltung. Am Ende wissen wir nicht viel über Gott, aber wir erfahren von diesem Sturm, in dem sich menschliche und göttliche Züge auf eine Weise vermischen, die sich nicht klar begrifflich fassen lässt – gar nicht unähnlich Kafkas Odradek, teils Mensch, teils Spindel, ohne erkennbare Morphologie. Vor allem aber ist dieser Sturm der Vergebung eine radikale Alternative zur geschlossenen Ökonomie von Sühne und Vergeltung. 86
    Wenn wir in

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