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Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Titel: Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Butler
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Textes aus, bleibt uns immer noch zu verstehen, wer am Ende dieses Epilogs tatsächlich spricht und welche Ziele und Wirkungen diese Stimme im Text besitzt. Im Text erhebt sich eine Stimme in der Form der direkten Anrede und nimmt die Gestalt des Richters an. In einem Text, der der Welt »zeigen« will, was sich abspielt, erzeugt diese Figur kraft der Stimme in der direkten Anrede ein bestimmtes Bild.
    Vielleicht müssen wir etwas von beiden hier angebotenen Interpretationen annehmen. Arendt beschwört eine Stimme herauf, die nicht ihre eigene (und damit zum Teil enteignet) ist, aber es gibt zugleich identifizierbare Züge ihrer eigenen Stimme, und diese Verdoppelung gilt es zu sehen. Wo ist also Arendt in dieser Stimme? Ist sie vielleicht in unterschiedlichen Auffassungen präsent? Sie gibt ihrer Überzeugung Ausdruck, aber zugleich kommt hier eine andere Auffassung zur Sprache, mit der sie nicht einverstanden ist. Streitet die Stimme, die wir hier hören, also mit sich selbst? Interessant ist, dass die Stimme des Richters mitten in dieser direkten Anrede Arendts eigenen impliziten Konjunktiv wiederholt: Der angenommene Richter sagt zum angenommenen Eichmann: »Was Sie eigentlich sagen wollten, war natürlich, dass, wo alle, oder beinahe alle, schuldig sind, niemand schuldig ist.« Die Richter verweisen auf Sodom und Gomorra, und zwar in einem Kontext, in dem sie Eichmann erklären, dass die beiden Städte in der archaischen biblischen Geschichte zerstört wurden, weil alle ihre Bewohner schuldig waren. Diese Auffassung verwerfen sie gleich anschließend, indem sie feststellen, dass »Sie«, also Eichmann, nicht mit allen Nazis oder Unterstützern des Deutschen Reichs austauschbar sind. Die angenommenen Richter verwerfen die Idee der Kollektivschuld in einem Ton, der demjenigen Arendts gleicht. Auch die Unterscheidung zwischen tatsächlicher und potenzieller Schuld klingt ganz nach Arendt und ebenso die Weigerung, sich auf Eichmanns Innenleben und mögliche Motive anstelle seiner faktischen Taten einzulassen.
    An diesem Punkt beginne ich zu zweifeln, dass Arendt hier jene Vergeltung begründet, die sie für barbarisch und unrechtmäßig hält. In der fiktiven Stimme erklärt sie zwar, weshalb man Eichmann tot sehen »will«, aber sie hatte bereits klargestellt, dass jemanden tot sehen wollen keine zureichende Begründung für ein Todesurteil ist. An anderer Stelle bringt sie ein weniger emotionales Argument vor: Völkermord ist unannehmbar, weil er einen Angriff auf die Pluralität der Menschheit als solcher darstellt. Auszusprechen, was mutigere Richter gesagt hätten, heißt faktisch auszusprechen, was eine emotionalere Hannah Arendt gern gesagt hätte und sogar sagt, aber in unausgesprochenen Anführungszeichen, die ihr erlauben, die Todesstrafe auszusprechen, ohne sie eigentlich auszusprechen, was nur durch ihre fiktive Position im Text möglich ist.
    Diese merkwürdig freigestellte Stimme – indirekt und in die direkte Rede eingelassen – unterbricht sich dann an einer Stelle und gibt zu verstehen, dass sich beide Haltungen aus der sprechenden Figur des pluralisierten Richters ergeben. Ihn tot sehen zu wollen scheint für das abschließende Urteilmaßgeblich. Die angenommenen Richter heben abschließend hervor, dass Eichmann »die Erde nicht mit dem jüdischen Volk und einer Reihe anderer Volksgruppen« hatte teilen wollen und kommen dann zu dem Schluss, dass keinem Angehörigen des Menschengeschlechts zugemutet werden kann, mit ihm zusammen die Erde zu bewohnen. Zugleich wird hier aber auch ein Grundsatz benannt, der darauf verweist, dass die Entscheidung nicht bloß einem Wunsch folgt, sondern einem Prinzip, ja einer Norm, die in Fällen von Völkermord angewandt werden sollte: »als ob Sie und Ihre Vorgesetzten das Recht gehabt hätten, zu entscheiden, wer die Erde bewohnen soll und wer nicht« (EJ S.   404).
    Bemerkenswert ist, dass ein so wichtiges Prinzip wie nebenbei und obendrein mit einem »als ob« versehen eingeführt wird. Hier wie an anderen Stellen verdeutlicht die kontrafaktische Formulierung indes, dass ein Recht in einem bestimmten Verhalten und einer bestimmten Politik implizit beansprucht wird, auch wenn es als solches nicht ausdrücklich kodifiziert ist. Das nicht festgelegte »wir« erlaubt Arendts eigener Stimme die Kohabitation mit den Stimmen der Jerusalemer Richter in der Rekonstruktion einer Entscheidung von größerem Mut und größerer Deutlichkeit. Einmal mehr spricht sie aus,

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