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Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Titel: Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Butler
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beiden Sphären. Lässt sich nicht auch von einer gesellschaftlichen Formierung des Denkens in Arendts Sinn sprechen, auch wenn dessen normative Form radikal einsam ist? Und ist nicht auch Einsamkeit in bestimmter Weise eine soziale Beziehung?
    Wie wir gesehen haben, tut Arendt etwas Interessantes und Verstörendes, wenn sie die Stimme des Richters annimmt, um Eichmann zum Tode zu verurteilen, nachdem er bereits verurteilt wurde. Einerseits beschwört siedie Gestalt einer souveränen Autorität außerhalb aller Gesetze herauf; andererseits führt sie performativ eine Norm ein, anhand derer sich auf radikal egalitärer Basis gerechte von ungerechten Gesetzen unterscheiden ließen. Es kann gut sein, dass wir uns aus Gründen, die Arendt und auch Benjamin in seiner »Kritik der Gewalt« vorbringen, gegen das Recht wenden müssen, ja sogar vorübergehend zum Anarchismus greifen müssen, wenn Recht Ungerechtigkeit wird. Es gibt aber keinen Grund zu der Annahme, dass der einzige Weg zur Opposition gegen das Recht oder zur Aussetzung des Rechts der Rückgriff auf eine außerrechtliche Souveränität ist. Arendt gerät damit in eine größere Nähe zu Schmitt als ich für gut halte und widerspricht auch den radikal egalitären Konsequenzen aus ihrer Theorie der sozialen Mannigfaltigkeit.
    Wie wäre die Lage, wenn sie, statt zum Widerstand gegen Rechtsgewalt, auf die Stimme der Souveränität zurückzugreifen, das Soziale, die Sphäre der Pluralität, neu durchdacht hätte, nicht nur als einen Schauplatz der Zugehörigkeit, sondern als einen der Auseinandersetzung? Anders gefragt: Bringt die chiasmatische Beziehung zwischen dem »Ich« und dem »Wir« auch einen Missstand im Herzen der Souveränität ans Licht, eine Nichtübereinstimmung, die die Stimme zwischen verschiedenen Formen schwanken lässt und den Grund umso unbeständiger macht? Der offensichtliche Rückgriff auf Souveränität im Zentrum des Urteilens scheint im Spannungsverhältnis zu der von ihr entwickelten Sozialontologie zu stehen. Tatsächlich könnte es sein, dass Pluralität die Souveränität immer wieder unterbricht, ihre Reste sammelt und die Souveränität in föderale Formen auflöst. Wenn Denken – oder gutes Denken – den Schutz der Mannigfaltigkeit des menschlichen Lebens beinhaltet, dann denken wir, wenn wir denken, die Heterogenität. Wir müssen aber an dieser Stelle auch festhalten, dass diese Heterogenität in einem ausschließlich anthropozentrischen Horizont gedacht wird. Das Leben, das erhaltenswert ist, ist, auch wenn es sich auf das menschliche beschränkt, in ganz wesentlicher Hinsicht mit dem nichtmenschlichen Leben verbunden; das ergibt sich aus dem Gedanken des menschlichen Tieres. Denken wir also gut und verpflichtet uns unser Denken auf die Bewahrung des Lebens in der einen oder anderen Form, dann hat das zu bewahrende Leben körperliche Form. Umgekehrt bedeutet das, dass das Leben des Körpers – sein Hunger, seine Bedürfnisse nach Unterkunft und Schutz vor Gewalt – sämtlich zentrale Fragen der Politik würden.
    Daraus ergibt sich ein Problem in Arendts Vita activa , wo sie ebenso folgerichtig wie irrig die öffentliche von der privaten Sphäre trennt. 156 In derSphäre des Privaten finden sich die Fragen der Bedürfnisse, der Reproduktion der materiellen Lebensbedingungen, das Problem der Vergänglichkeit, kurz alles, was mit dem gefährdeten Leben zu tun hat. Die Möglichkeit der Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen durch Genozid oder systematische Vernachlässigung ergibt sich nicht nur daraus, dass bestimmte Menschen sich zu der Entscheidung darüber berechtigt glauben, mit wem zusammen sie die Erde bewohnen wollen; sie ergibt sich auch daraus, dass dieses Denken sich einer Grundgegebenheit jeder Politik verweigert, dass nämlich die Zerstörbarkeit durch andere aus sämtlichen Formen der politischen und sozialen Interdependenz folgt und eine Herausforderung für sämtliche politischen Formen darstellt.
    Eine alternative Sozialontologie müsste von dieser Prekaritätsvoraussetzung ausgehen, um jene – durchgängig rassistischen – normativen Handlungen abzuwehren, die im Voraus darüber befinden, wer als Mensch gilt und wer nicht. Es geht hier nicht um eine Rehabilitation des Humanismus, sondern um die Annahme der menschlichen Tiernatur und der gemeinsamen Gefährdung. Dieses Merkmal unseres Lebens kann vielleicht zur Grundlage für Schutzrechte gegen vorsätzlichen Genozid und verhängnisvolle Vernachlässigungen

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