Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)
UN-Resolutionen gestützt und entspricht einem ganzen völkerrechtlichen Korpus zum Schutz gewaltsam vertriebener Flüchtlinge. In Anbetracht der verschiedenen Bedeutungen des Rückkehrrechts (von denen manche paradoxerweise von vertriebenen Juden während der spanischen Inquisition vor über 500 Jahren dargelegt wurden) kann man nicht sinnvoll sagen, dass sich ein solches Recht nicht einräumen oder bestreiten lässt, bevor man sich nicht wenigstens darüber einig ist, über welches Recht genau man eigentlich spricht und ob es sich dabei um ein legitimes Recht handelt. Wenn man die Debatte über dieses Thema ablehnt mit dem Argument, es sei unmöglich zu klären, zu komplex, undenkbar oder zu kostenintensiv, dann ist diese Ablehnung vielleicht nichts anderes als die heutige Form der Verleugnung der Zwangsvertreibung, eine Spur im heutigen Alltagsdiskurs, die auf unheimliche Weise in den Common Sense eingegangen ist.
So mag es sinnvoll scheinen, zur Lösung des Flüchtlings- und Staatenlosenproblems eine internationale Konferenz zum Rückkehrrecht einzuberufen und vorrangig Formulierungen dieses Rechts und Möglichkeiten der Wiedergutmachung zu behandeln. Ziel wäre ein Konsens (der nicht vollkommen sein muss) darüber, was dieses Recht genau bedeutet und wie es zu achten ist und wie folglich dem Völkerrecht und internationalen Verpflichtungen Genüge zu tun ist; das würde eine Reihe staatsbürgerlicher und rechtlicher Schritte zur Beseitigung fortbestehender Ungerechtigkeiten beinhalten und könnte den Weg zu einer weniger gewaltbelasteten Kohabitation der Völker dieser Region ebnen.
In der vorherrschenden öffentlichen Meinung stößt man jedoch nur zu oft auf eine reflexartige Ablehnung dieses Rechts (ein Abwinken, ein gesenkter Blick, Überdruss), als könnte eine solche Lösung einzig bedeuten, dass Palästinenser plötzlich und mit Gewalt israelische Häuser besetzen und deren Bewohner um ihren Besitz bringen würden. Jeder Lösungsansatz muss solche Gesten und Phantasien beiseitelassen (wessen Häuser wurden schließlich in Besitz genommen und wer musste fliehen?). Das Rückkehrrecht wäre ein zugleich komplexes und effektives Recht; das heißt, es müsste auf dem Recht der Flüchtlinge, der Rechtswidrigkeit der Enteignungen und einer Neukonzeption der Landumverteilung beruhen. Das mag idealistisch oder unmöglich scheinen oder einen kompletten Neuanfang in der ganzen Region vorauszusetzen scheinen; ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Israelis die ganze Zeit Land umverteilen und dass es solche Prozesse und Techniken bereits gibt. Die Frage wäre also: Wie kann man in diesen Umverteilungsprozess eingreifen und wie kann man ihn so umkehren, dass er den Rechten der Flüchtlinge und den legitimen Ansprüchen auf Anerkennung und Wiedergutmachung der gewaltsam Vertriebenen dient? Das müsste natürlich heißen, dass man die nächsten Schritte mit klarer Anerkennung der Geschichte geht. Noch komplexer wird dieser Prozess dadurch, dass diese Geschichte im Verschwinden begriffen ist – Abu Mazen hat immer wieder angeboten, sie beiseitezulassen –, dass sie Gefahr läuft, ausgelöscht zu werden und in Wahrheit noch immer darum ringt, überhaupt als Teil der Geschichte begriffen zu werden. Was heißt es unter den derzeitigen Bedingungen, einen Schritt voran zu gehen, wenn die geschichtliche Vergangenheit noch gar nicht stabilisiert ist?
Kein Schritt in die Zukunft kann hilfreich sein, wenn er nicht dieser konstanten Drohung historischer Auslöschung widersteht. Und doch basieren viele praktische Ansätze zur Lösung der Palästinafrage auf dieser Auslöschung. Natürlich kann eine Ereignisfolge historisch nur werden, wenn sie nicht ausgelöscht wird, und erst, wenn sie Bestandteil der Geschichte geworden ist, können wir sinnvoll und öffentlich über neue Möglichkeiten für die Zukunft nachdenken. Andernfalls setzt sich die Nakba fort, wird von der Gegenwart ununterscheidbar und blockiert damit jede andere Bewegung in der Zeit. Der Kampf gegen die Auslöschung der Nakba ist also für jeden Schritt in die Zukunft wesentlich, und das bedeutet, dass dieselben Schritte das historische Gedächtnis und die Zukunft ermöglichen. Die Bedrohung der Nakba durch das Vergessen erfordert damit nicht nur eine Intervention Benjamin’scher Art, sondern gemahnt auch an die Bedeutung von Primo Levis doppelter Aufgabe des Widerstands gegen den Revisionismus und der Nutzung des Vergessens für die ästhetische
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