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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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Veronikas Betablocker ab. »Meine Mutter hat mir immer gesagt: Carla, du mußt deinen Arsch in die Hose stemmen.« Schon bald nach ihrem Einzug hatte Carla bemerkt, daß ihr neuer Nachbar ungefähr zu der Zeit nach Hause kam, in der sie ihren Nachmittagskaffee trank. Peter war von Emil begeistert, und so ging er fast täglich nach nebenan und hörte sich Carlas Geschichten an. Sie hatte ein Talent dafür, Mimik und Gestik der geschilderten Personen lebendig werden zu lassen, sogar Stimmen zu imitieren, meist mit hamburgischem Akzent. Sie erzählte von ihrer verstorbenen Mutter und wie wichtig es dieser gewesen sei, daß Carla ›sich selbst ihr Brot verdienen konnte‹. Emil betrachtete Fotos einer früh gealterten Frau mit geschwollenen Augen unter einem platinblond gefärbten Pagenkopf. »Sie hat immer nur gearbeitet, um mich durchzubringen. Personalbuchhaltung im Schlachthof an der Sternschanze. Keine Leberwurst, auch kein Roastbeef am Weihnachtsabend oder Kotelett bis zum Abwinken halfen gegen den Gestank dort. Wenn sie betrunken war, klopfte sie Sprüche, die sie von den Schlachtern zu hören bekam: Schee ist’s auf der Heiden, Finger in der Scheiden, Sonne scheint auf Penis, schee is. Mit weißen Häubchen über dem Haar und Gummistiefeln voll Desinfektionsmittel kamen sie in ihr Büro getrampelt. Bis aufs Fleisch hat sie mir die Fingernägel runtergeschnitten. Bei uns war es sauberer als in einem Krankenhaus, da wett ich drauf. Ein neuer Mann war nicht in Sicht, jedenfalls niemand, von dem ich wußte. Papas Foto stand im Silberrahmen auf dem Vertiko. Er blieb jung, ganz unbarmherzig, während Mutter mehr und mehr Falten bekam und gerne mal zu tief ins Glas schaute. In den letzten Jahren, vor dem Krebs, ist sie richtig elegant geworden: Seidentücher, weite, weiche Mäntel, Eidechsenschuhe. Sie hatte zwei Freundinnen aus der Berufsschule, mit denen sie ab und zu das St. Pauli Theater besuchte.« Für das Grab auf dem Ohlsdorfer Friedhof hatte Carla einen Vertrag mit einer Gärtnerei. Einmal im Jahr fuhr sie ›hoch‹. Wenn sie ihr Alpenveilchen abgestellt hatte, trank sie zwei Pharisäer in einem der zahlreichen Cafés, die das Friedhofsgelände säumten.
    Emil hing in der staubigen Ecke seines Balkons, gelähmt wie ein Zuschauer im Fernsehsessel. Er war vollkommen zerrüttet von dem, was er gesehen hatte, und dennoch nicht in der Lage, aufzustehen und einzugreifen. Er beobachtete Carla, wie sie den herumliegenden Müll einsammelte, sich die Finger am Rock abwischte, den Kofferraumdeckel zuklappte und die Haustür aufschloß. Er fragte sich, wo sie gewesen war, als Peters Bart gewachsen war. Auf ihrer Gartenliege, in der Praxis, bei ihren Bridgefreundinnen? Für sich selbst konnte er diese Frage eindeutig beantworten. Schon vor Ferienbeginn hatte er herumgeschludert, sich in Burghalde vergraben und die Alkoholvorräte aufgestockt. Er war durch den Wald spaziert und hatte seine alten Helden aus dem Regal gezogen.
    Als Veronika mit viel Dreiwettertaft im Haar auf den Balkon kam, um ihren Morgenkaffee zu trinken, saß Emil wieder am Frühstückstisch. Nebenan war die Einfahrt menschenleer. Einen Joghurtbecher und ein paar Papierfetzen hatte Carla übersehen. Ein Buchfink flatterte über die Abfälle hinweg, pickte kurz, ließ einen hellen Triller hören und flog davon. Aus den Fenstern des Nachbarhauses, die zum morgendlichen Lüften offenstanden, drang hin und wieder ein Laut. Es konnte ein Husten sein, ein Schluchzen oder die reine Einbildung. Emil blickte nicht auf, als seine Frau an den Tisch trat, sich rasch eine Tasse Kaffee eingoß und »bin schon viel zu spät« murmelte. Von der Mauruskirche schlug es acht. Emil ritzte mit dem Löffelstiel Wellenlinien in eine dick gebutterte Brotscheibe. Als Veronika mehrfach seinen Namen sagte, schließlich seine Schultern umfaßte, sah er zu ihr auf wie aus einem Traum, ließ den Löffel fallen und verbarg sein Gesicht in den nach Tabak und Jasmin duftenden Falten ihres Kleides.

3 Emil mähte die untere Wiese. Mit gleichmäßigen Schwüngen führte er die Sense durch das halbhohe Gras. Die Halme fielen, das Blatt triefte von dunkelgrünem Saft. Emil atmete schwer. Er setzte die Sense ab und lehnte sie an den Stamm des Zwetschgenbaums vor dem Zaun. Auf der Treppe stand ein Eimer Wasser. Er nahm den Wetzstein heraus. Im Haus klingelte das Telefon. Den triefenden Wetzstein noch in der Hand, rannte Emil durch alle Zimmer des unteren Stockwerks. Das Schnurlose lugte im

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