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Am Schwarzen Berg

Am Schwarzen Berg

Titel: Am Schwarzen Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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vorbeigedrückt und durch die offene Terrassentür spaziert, einen noch warmen Topf in der Hand: »Hallo, war grade in der Gegend, hab dein Auto gesehen. Dachte mir, du könntest was vertragen. Wie wär’s mit einem Happen aus Emils Schnellküche, schmackhaft und vitaminreich? Ravioli aus der Dose, verfeinert mit reichlich Butter und Büchsenmilch. Oder eine Rote im Brötchen, knallheiß auf die Hand, wie damals, als wir auf der Jagd waren, weißt du noch?«
    Peter hatte damals tatsächlich angefangen, Emil auf seinen Mörike-Expeditionen zu begleiten, die er seit Jahren mal mehr, mal weniger hoffnungsvoll betrieb. An jenem Nachmittag waren sie ins Auktionshaus am Marktplatz gefahren. Selten gab es hier Papiernes, aber Emil war sich sicher bei dem Elfenbeinkästchen mit der Neckarlandschaft auf dem Deckel. Sie enthielt laut Katalog »ein Konvolut von Briefen und Notizzetteln aus dem Jahr 1848, teilweise versehen mit kleinen Zeichnungen, gekennzeichnet mit dem Kürzel E.M.«. Emil hatte gesteigert und viel Geld ausgegeben, um festzustellen, daß die Buchstaben zu einer Emma Mägerle gehörten, die eine Menge unglücklicher Schreiben aus dem Hohenlohischen an ihre Schwester nach Stuttgart geschickt hatte. In ihnen klagte sie über die windige Trostlosigkeit der Hochebene, den Gestank der Schweine vom Nachbarhof und die verhornten Hände ihres frisch angetrauten Ehemannes, die dieser jede Nacht von neuem über ihren vor Ekel zusammengekrümmten Leib wandern ließ. Peter, der die Schrift der jungen Frau nicht lesen konnte, wurde von Emil nur oberflächlich mit dem Inhalt vertraut gemacht. Enttäuscht, mit hängenden Köpfen, waren sie über die Königsstraße geschlendert. Aus den Gebläsen der Kaufhauseingänge rauschte warme, süßliche Luft. Vor der Kaufhalle wurden Hot Dogs angeboten. Der Imbißmann pfählte die aufgebackenen Brötchen auf einem stählernen Spieß, der neben den Senf- und Ketchupflaschen in die Luft ragte. In den weichen, von oben bis unten durchbohrten Laib wurde die heiße Wurst geschoben. Emil und Peter aßen schweigend, während sie die Schulstraße zum Parkhaus hinunterliefen. Der Himmel über der Stadt war violett, auf dem Bahnhofsturm drehte sich der silberne Stern mit aufreizender Gemächlichkeit.
    Emil gehörte zu den Leuten, die wenig notierten und noch weniger fotografierten. Er hatte diese Möglichkeiten, etwas Wertvolles festzuhalten, für sich selbst ausgeschlossen, teils aus Faulheit, teils aus dem Gefühl heraus, zuviel zu sehen und zu empfinden, um es in Schnappschüsse oder gar Worte fassen zu können. Seine Erinnerung an die Zeit, in der ihn Peter auf seiner schlingernden, unorganisierten Suche nach Mörikes Schatz begleitet hatte, verschwamm ihm zu einer Reihe unkonturierter Bilder und abgerissener Sätze. Er wußte nicht mehr, wie oft sie zusammen nach Stuttgart hinuntergefahren waren, durch Obstwiesen und Weinberge, vorbei an den feist in ihren Gärten ruhenden Villen des Frauenkopfes, durch den Wald und hinunter in die Stadt, deren Straßen und Plätze im Umriß noch die gleichen waren wie damals, aus der Nähe inzwischen aber vollständig anders aussahen.
    Die Namen der Antiquare, die sie gemeinsam aufgesucht hatten, konnte er noch zusammenbringen: Zischka, Schatz und Lautenschlager. Ihre Läden lagen allesamt im Süden der Stadt, dem Lehenviertel, wo Emil geboren und aufgewachsen war. Er erinnerte sich an die autolose Stille, mit der die Liststraße von ihrer höchsten Erhebung hinter der Markuskirche in einer sanften Krümmung herabstürzte, um dann wieder anzusteigen und in Richtung Zahnradbahn bergan zu schleichen. Er dachte an die Bonbongläser voll weißer Schaumzuckermäuse, die Füllfederhalter und Druckbleistifte auf dunkelblauem Samt im Laden der Frau Schatz, die silberne Haarsträhne im rabenschwarz gefärbten Schopf der alten Dame und die Geschwindigkeit, mit der sie den dunklen Gang »zum Lager« entlanghuschte. Sie führte mit ihrem Mann, den sie »mein Juwel« nannte, ein Schreib- und Spielwarengeschäft, in dem schon Emil als Schüler eingekauft hatte. Manchmal packte sie auch Kurioses ins Fenster. Hier ergatterte Emil für einen Freundschaftspreis, »weil ich deine Mutter und dich schon so lang kenne, Büble«, ein Poesiealbum aus dem Jahre 1853. Es hatte einst einer Mina Lechner aus der Brennerstraße gehört und enthielt auf dem vorletzten Blatt, neben der Bleistiftzeichnung einer blühenden Ackerbohne, einen schlichten Widmungsvers, der unterzeichnet war

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