Am Seidenen Faden
dafür, nach den Regeln dieser Familie zu leben, oder sie entscheidet sich dafür, woanders zu leben. So einfach ist das.«
»Hör auf damit!« schrie ich. Ich schüttelte seine Hände ab und begann von neuem zornig auf und ab zu laufen. »Nichts ist einfach, wenn es um Sara geht.«
»Dann müssen wir wenigstens versuchen, es für uns einfacher zu machen.« Er sah einen Moment zur Zimmerdecke hinauf, dann blickte er mich wieder an. »Wer hat hier das Sagen, Kate? Wer setzt die Grenzen? Du bist doch die Therapeutin. Du weißt, daß du genau das einem Klienten raten würdest.«
»Aber wir reden hier von unserer siebzehnjährigen Tochter. Du verlangst von mir, daß ich sie kurzerhand auf die Straße setze?« Ich sah Sara zitternd zusammengekauert vor einem offenen Feuer an irgend einer verlassenen Straßenecke.
»Das stimmt doch gar nicht.«
»Du weißt doch, was sie tun wird, wenn wir sie rauswerfen. Sie wird einfach zu Jo Lynn ziehen. Ja, genau das wird sie tun. O Gott, ist das heiß hier drinnen.« Ich rupfte am Kragen meines hellen Baumwollpullis.
»Hast du gesagt, daß Jo Lynn zu uns zieht?« fragte meine Mutter von der Tür her, als sie mit Michelle ins Zimmer trat.
»Lieber Gott«, murmelte ich.
»Wir haben uns einen Film ausgesucht«, verkündete Michelle. »Er fängt um zehn vor vier an.«
»Ich glaube, ich halte das nicht mehr aus.« Meine Stimme klang wie das Kratzen von Fingernägeln auf einer Schiefertafel.
»Mama, was ist denn?«
»Ist etwas nicht in Ordnung, Kind?« fragte meine Mutter.
»Es ist alles in Ordnung«, fuhr ich sie an. Die Hitze raste mit der ungezügelten Wut eines Buschfeuers durch meinen Körper. »Es ist nur so verdammt heiß hier!« Ich zog meinen Pulli aus, schleuderte ihn zornig zu Boden, trampelte auf ihm herum, ehe ich ihn mit dem Fuß quer durchs Zimmer feuerte. Als ich aufblickte, sah ich, daß mein Mann, meine Mutter und meine Tochter mich anstarrten, als wäre ich verrückt geworden.
»Es ist wirklich ein bißchen warm hier«, sagte meine Mutter.
»Mama, was ist denn nur?« rief Michelle erschrocken.
»Wißt ihr was«, sagte Larry, offensichtlich in seiner Ruhe erschüttert angesichts meines Ausbruchs, »ich finde, wir sollten hier verschwinden und deiner Mutter ein bißchen Ruhe lassen.«
»Na großartig«, rief ich. »Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.«
Larry hob hilflos die Hände und ließ sie leblos herabsinken. »Ich dachte, das wolltest du«, sagte er.
»Hier gibt’s Ratten?« fragte meine Mutter, und ihr Blick huschte mißtrauisch über den Fliesenboden.
»Ja, natürlich, das hast du immer schon am besten gekonnt, stimmt’s?« sagte ich und sah meinem Mann direkt in die Augen.
»Wovon redest du?« fragte Larry.
»Wenn’s schwierig wird, geht man zum Golfspielen. Oder ins Kino. Richtig?«
Larry wandte sich meiner Mutter und Michelle zu. »Michelle, Schatz, wir haben noch ein bißchen Zeit, bevor wir fahren müssen. Magst du nicht mit deiner Großmutter eine Runde spazierengehen?«
Michelles Blick bewegte sich zwischen mir und ihrem Vater
hin und her, als sähe sie bei einem Tennismatch zu. »Komm, Großmama«, sagte sie dann und führte meine Mutter zur Haustür.
»Gehen wir ins Kino?« hörte ich meine Mutter fragen, ehe die Tür hinter ihnen zufiel.
»Möchtest du mir etwas sagen?« fragte Larry, als sie weg waren.
Ich hob meinen Pulli vom Boden auf und wischte mit ihm den Schweiß zwischen meinen Brüsten weg. »Hast du denn Zeit? Ich meine, du möchtest doch sicher nicht zu spät ins Kino kommen.«
»Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es.«
»Für dich ist es ja auch kinderleicht.«
»Was ist für mich kinderleicht?«
»Einfach abzuhauen.«
»Ich gehe ins Kino, Kate. Nun mach doch keinen solchen Wirbel.«
»Aber nein, wozu um unsere Tochter Wirbel machen? Viel wichtiger ist ja, daß man beim Golfen unter hundert bleibt.«
»Okay, das reicht jetzt«, warnte Larry.
»Hast du nicht eben gesagt, wenn ich was zu sagen hätte, soll ich’s sagen?«
»Ich hab’s mir anders überlegt.«
»Zu spät.«
»Ja, wenn du jetzt nicht sofort aufhörst, ist es wirklich zu spät.«
»Was denn – willst du mir drohen? Wenn ich mich nicht nach den Regeln dieser Familie richte, dann setzt du mich wohl auch an die Luft, was?«
»Kate, das ist doch verrückt. Hör dir doch mal selbst zu.«
»Nein, du hörst zu. In den letzten Monaten geht in meinem Leben so ziemlich alles zu Bruch. Und wo bist du? Auf dem Golfplatz!«
»Das ist
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