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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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Lachen, um ihr mehr Glaubwürdigkeit zu geben, und machte Anstalten, in ihr Zimmer zu gehen.
    »Wann hörst du endlich auf, mich zu belügen, Sara?«
    Bei der Frage blieb sie wie angewurzelt stehen. Ihr Rücken wölbte sich, wurde steif wie der einer Katze, wenn sie sich bedroht fühlt. »Ich hab Michelles blöden Pulli nicht. Und ihre Kassetten auch nicht«, erklärte sie langsam und artikuliert, als wäre jedes Wort eine Anstrengung. Immer noch kehrte sie mir den Rücken zu.
    »Und du warst das ganze Wochenende bei den Sperlings und hast gelernt.«
    »Das weißt du doch. Du hast doch mit Mrs. Sperling gesprochen.«
    »Ja, mehrmals sogar.«
    Langsam drehte sich Sara herum. Als sie stillstand, konnte ich ihrem Gesicht ansehen, daß sie noch dabei war, diese Eröffnung zu verarbeiten und sich auf sie einzustellen. »Wann hast du mit ihr gesprochen?«
    »Gestern nachmittag.«

    »Du hast mich kontrolliert?«
    Ich lachte. Ihre Entrüstung war einfach grotesk.
    »Lach nicht über mich«, warnte sie.
    »Und lüg du mich nicht an«, versetzte ich.
    »Ich lüge nicht. Ich war bei den Sperlings.«
    »Ja, aber du bist nicht sehr lange geblieben, nicht wahr?«
    Eine Pause, aber nur eine kurze. »Ich konnte nicht. Es ist was passiert.«
    »Ja, ich weiß«, sagte ich in teilnahmsvollem Ton. »Es war etwas mit deiner Großmutter. Du mußtest dringend nach Hause.«
    Sara verdrehte die Augen. Ich hatte den Eindruck, sie suchte nach einer überzeugenden Ausrede. »Es ist was passiert«, wiederholte sie. »Es war wichtig.«
    »O ja, das glaub ich. Warum erzählst du mir nicht, was es war?«
    Sara trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich kann nicht«, antwortete sie.
    »Warum nicht?«
    »Es wäre ein Vertrauensbruch.«
    Wieder hätte ich beinahe gelacht, aber diesmal gelang es mir, mich zu beherrschen. »Ach, das wäre ein Vertrauensbruch! Aber mein Vertrauen kannst du getrost mißbrauchen.«
    »Ich wollte dein Vertrauen nicht mißbrauchen.«
    »Ach, es war dir doch einfach egal.«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Wo warst du?« fragte ich.
    Sara senkte den Kopf und blickte zu Boden. Als sie sich wieder aufrichtete und mich ansah, konnte ich selbst im schwindenden Licht die Tränen in ihren Augen erkennen. Sie leidet, dachte ich und hätte sie am liebsten auf der Stelle in die Arme genommen. Trotz allem, was geschehen war, gelang es mir nur mit größter Anstrengung, still sitzen zu bleiben und nicht die Arme auszubreiten.
    »Einer Freundin von mir ging es furchtbar schlecht«, begann sie. Sofort war all mein Verlangen, sie zu trösten, wie weggeblasen. Meine Hände krampften sich zu Fäusten zusammen. Noch
mehr Lügen, dachte ich. Wie ein Krebsgeschwür breitete sich blinde Wut in meinem Hirn aus.
    »Weißt du, sie ist mit einem Jungen befreundet, den ihre Eltern absolut nicht leiden können. Sie verlangen von ihr, daß sie mit ihm Schluß macht, und sie möchte es ja auch, aber sie hat Angst, daß sie schwanger ist.« Pause. Schlucken. Neue Tränen. »Sie brauchte dringend jemanden, mit dem sie reden konnte. Was hätte ich denn tun sollen, Mama? Es war wirklich schlimm. Sie hat mir so leid getan. Ich hatte Angst, sie bringt sich um. Sie hat sich an mich gewandt, weil sie weiß, daß du Therapeutin bist. Wahrscheinlich hat sie geglaubt, ich hätte was von deinem Wissen mitbekommen und könnte ihr helfen.«
    Ich war sprachlos vor soviel Kreativität. Unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit sie sich diese raffinierten Märchen ausdachte, mit welch müheloser Leichtigkeit sie es schaffte, mich in ihre Lügengespinste zu verwickeln und mir durch Schmeichelei zu verstehen zu geben, daß ich zumindest mitverantwortlich sei. Denn wenn ich nicht ausgerechnet Therapeutin gewesen wäre, dann wäre das alles ja nicht passiert. Wäre nicht meine berufliche Tätigkeit gewesen, mein Wissen , dann wäre Sara gar nicht erst in diese Sache hineingeschlittert, dann hätte sie nicht unter einem Vorwand bei den Sperlings verschwinden, dann hätte sie nicht lügen müssen.
    »Und konntest du ihr helfen?« fragte ich, auf die Farce eingehend.
    »Ich glaube schon.« Sie lächelte, ihres Sieges schon gewiß. »Es tut mir wirklich leid, daß ich lügen mußte. Aber ein bißchen lernen konnte ich trotzdem. Ich glaube, ich bin gut vorbereitet für die Arbeit morgen.«
    »Du hast gelernt?« fragte ich. »Ohne Bücher?«
    »Was soll das heißen, ohne Bücher? Ich hatte meine Bücher dabei.« Sie klopfte auf ihren Rucksack.
    »Deine Bücher sind in deinem Zimmer«,

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