Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
entgegnete ich, des Theaters müde.
    »Was?«

    »Deine Bücher liegen in deinem Zimmer. Soll ich sie holen?«
    »Nein, du sollst sie nicht holen«, fuhr Sara mir über den Mund. »Wer hat dir überhaupt erlaubt, in mein Zimmer zu gehen?«
    »Deine Großmutter hat in dem Zimmer geschlafen«, begann ich, aber sie ließ mich nicht zu Ende sprechen.
    »Wie kommst du dazu, in meinen Sachen rumzuschnüffeln?«
    »Ich habe nicht geschnüffelt.«
    »Wie kannst du nur erwarten, daß ich dich respektiere, wenn du nicht mal meine Privatsphäre respektierst?«
    »Ich denke, ich habe deine Privatsphäre immer respektiert.«
    »Ach ja? Indem du dich heimlich in mein Zimmer schleichst und in meinen Sachen rumschnüffelst?«
    »Ich habe mich nicht heimlich in dein Zimmer geschlichen, und ich habe auch nicht in deinen Sachen herumgeschnüffelt.«
    »Was hattest du in meinem Kleiderschrank zu suchen?«
    »Es geht hier nicht um mich«, entgegnete ich, um zu versuchen, die Zügel wieder in die Hand zu bekommen.
    »Kaum bin ich aus dem Haus, rennst du in mein Zimmer, kramst in meinen Sachen, rufst die Sperlings an, spionierst mir nach. Und das nennst du Vertrauen? Das nennst du Ehrlichkeit? Du bist vielleicht eine Heuchlerin.«
    »Vorsicht!« warnte ich.
    »Was willst du eigentlich von mir?« fragte sie, wie Stunden zuvor Larry gefragt hatte. »Ich hab dir die Wahrheit gesagt. Ich wollte es nicht tun. Es war ein Vertrauensbruch, aber ich hab dir’s trotzdem gesagt.«
    »Du hast mir gar nichts gesagt.«
    »Ich war bei meiner Freundin.«
    »Bei derselben Freundin, die leere Zigarettenschachteln sammelt?«
    »Was? Wovon redest du?« Plötzliche Besorgnis verwischte die Linien des Zorns um ihre Augen und ihren Mund. »Mama, ist mit dir alles in Ordnung?«
    »Ich weiß, wo du warst, Sara«, sagte ich, und in meiner Stimme war soviel Wut und Enttäuschung, daß sie zitterte. »Ich weiß,
daß du nicht bei einer schwangeren Freundin mit Selbstmordgedanken warst. Ich weiß, daß du bei Jo Lynn warst. Ich weiß, daß du auf ihrer gottverdammten Hochzeit warst.«
    Plötzlich war es totenstill im Zimmer. Wenn ich Tränen, Bitten um Verzeihung und Entschuldigungen erwartet hatte, so hatte ich mich verrechnet. Sara starrte mich mit unverhohlener Verachtung an.
    »Wenn du die ganze Zeit gewußt hast, wo ich war«, sagte sie mit leiser Stimme und überhaupt nicht verzeihungheischend, »warum dann dieses ganze blöde Theater? Wer ist denn hier die Lügnerin, hm, Frau Therapeutin?«
    »Untersteh dich, so mit mir zu reden!«
    »Dann hör endlich auf mit diesen blöden Spielchen.«
    Frustration lähmte mir die Zunge. Sie lag dick und schwer in meinem Mund. Ich hätte auf Larry hören, mit ihm ins Kino gehen und später mit ihm gemeinsam dieses Gespräch mit Sara führen sollen. Ich war zu ausgepumpt, um allein mit ihr fertigzuwerden; Sara war eine viel zu gerissene Gegnerin. Larry hatte in jeder Hinsicht recht gehabt.
    »Ich geh jetzt in mein Zimmer«, sagte Sara.
    »Du schläfst im Arbeitszimmer«, entgegnete ich, uns beide überraschend.
    »Was?«
    »Großmama hat dein Zimmer. Ich möchte sie nicht schon wieder in ein anderes Zimmer bugsieren. Sie ist verwirrt genug.« Das war wahrscheinlich wahr, obwohl ich mir das vorher gar nicht überlegt hatte.
    »In Ordnung«, sagte Sara und wandte sich zum Gehen.
    »Und solange du da drüben bist«, fuhr ich fort, trotz bester Vorsätze, trotz jahrelanger beruflicher Erfahrung, trotz besseren Wissens unfähig, mich zu zügeln, »kannst du vielleicht mal darüber nachdenken, ob du überhaupt noch zu dieser Familie gehören möchtest.«
    »Was?« Saras Gesicht verriet mir, daß sie glaubte, ich hätte den Verstand verloren. »Was soll das jetzt wieder heißen?«

    »Ab jetzt sind alle Vergünstigungen aufgehoben.«
    »Was?«
    »Du hast mich genau gehört. Keinerlei Vergünstigungen mehr.«
    »Was heißt hier Vergüngstigungen?« schnauzte Sara. »Jeder Mensch hat gewisse Rechte.«
    Und wir haben auch Rechte, hörte ich Larry sagen.
    »Kein Taschengeld mehr«, fuhr ich fort, angestachelt von ihrem Protest. »Kein Ausgang an den Wochenenden. Bis zum Ende des Schuljahrs bist du entweder in der Schule oder zu Hause«, sagte ich, Larrys Worte wiederholend.
    »Ach, fahr zur Hölle!« sagte Sara.
    »Nein«, entgegnete ich, »du bist diejenige, die sich nach einer neuen Bleibe umschauen wird. Entweder richtest du dich nach den Regeln in dieser Familie oder du suchst dir eine andere Unterkunft. So einfach ist das.«
    Sara

Weitere Kostenlose Bücher