Am Seidenen Faden
unfair.«
»Kann schon sein, aber es ist wahr. Ich muß mich mit meiner Mutter rumschlagen, mit meiner Schwester, mit den Kindern,
mit diesen gottverdammten Hitzewellen«, fuhr ich fort, »und du machst dich nur immer rarer. Sicher, sicher, du sagst das Richtige, du zeigst angemessene Teilnahme, aber wenn ich dich brauche, bist du nie da.«
»Jetzt bin ich da«, sagte er ruhig.
»Nur, um zu duschen und dich umzuziehen. Dann geht’s ab ins Kino und zu Chili’s .«
»Was willst du von mir, Kate?« fragte er. »Was soll ich deiner Meinung nach tun? Sag es mir, denn ich bin wirklich ratlos. Ich hab das Gefühl, es ist ganz gleich, was ich sage oder tue, es ist immer das Falsche. Ich komme mir vor, als ginge ich auf Eiern. Ich hab Angst, den Mund aufzumachen, denn ich könnte ja das Falsche sagen; ich hab Angst, dich zu berühren, denn es könnte ja sein, daß ich die falsche Stelle erwische und du mir den Kopf abreißt. Du sagst, ich sei nie zu Hause. Vielleicht stimmt das. Vielleicht ist das meine Art, mit allem, was hier dauernd los ist, fertigzuwerden. Bringen Konfrontationen denn wirklich soviel?«
»Ich weiß es nicht«, gab ich zu. Ich drückte meinen Pulli an mich, als mir der kühle Hauch der Klimaanlage über die bloßen Arme kroch. »Ich weiß überhaupt nichts mehr.«
»Aber du weißt doch, daß ich Sara nicht einfach rauswerfen will«, fuhr Larry ruhig fort.
»Ja, das weiß ich.«
»Ich hätte nur gern ein bißchen Ruhe. Es ist weiß Gott lange her, seit sie uns mal Freude gemacht hat.«
»Sie ist nicht hier, um uns Freude zu machen«, entgegnete ich.
»Nein, das gehört nicht zu ihren Aufgaben«, stimmte Larry traurig zu. Dann: »Komm mit ins Kino, Kate. Bitte. Das wird uns allen gut tun.«
»Ich kann nicht«, hörte ich mich sagen und begann zu weinen. »Ich kann einfach nicht. Aber geht ihr. Wirklich. Es ist in Ordnung. Geht ihr ruhig.«
Ich ließ ihn stehen und rannte ins Bad. Ich wusch mir das Gesicht und zog meinen Pulli wieder an. Ich starrte im Spiegel mein Gesicht an und musterte die feinen Linien unter meinen Augen.
Wie die Linien von Flüssen auf einer Landkarte, dachte ich und blieb so stehen, bis ich hörte, wie die Haustür geöffnet und dann zugeschlagen wurde. Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, war Larry weg und ich war allein. Ich setzte mich wieder aufs Sofa und wartete auf Sara.
Um genau drei Minuten nach sechs kam sie zur Tür herein, ihren abgeschabten braunen Lederrucksack lässig über einer Schulter. Sie trug dieselbe enge Jeans und dasselbe knappe, quergestreifte T-Shirt, in denen sie vor zwei Tagen aus dem Haus gegangen war. Das Haar hing ihr in mehreren Schattierungen von Blond lose um das Gesicht.
»Oh! Hallo!« Sie blieb stehen, als sie mich sah, und ein Hauch von Röte flog über ihr Gesicht. »Du hast mir einen Schrecken eingejagt. Ich hab dich gar nicht gesehen. Warum machst du kein Licht?«
»Ich habe auf dich gewartet.« Meine Stimme war überraschend – gespenstisch – ruhig.
Sie sah langsam von einer Seite zur anderen. »Ist alles in Ordnung? Großmama …«
»Es geht ihr gut.«
»Gott sei Dank.« Sie kam näher.
»Hast du Michelles Pullis wieder mitgebracht?«
»Was?«
»Und ihre Kassetten?«
»Ich hab keine Kassetten von Michelle. Und was soll ich mit ihren Pullis? Die passen mir doch gar nicht.« Sara zeigte genau das richtige Maß an Entrüstung. Eine Sekunde lang glaubte ich, Michelle hätte sich vielleicht geirrt.
»Dann macht es dir sicher nichts aus, mir zu zeigen, was in deinem Rucksack ist«, sagte ich.
»Und ob mir das was ausmacht. Ich hab gesagt, daß ich Michelles Sachen nicht habe. Reicht das nicht? Glaubst du mir vielleicht nicht?«
»Offensichtlich nicht.«
Sie schüttelte den Kopf, als wäre mein Mißtrauen unfaßbar, als wäre ich das letzte. »Tja, das ist dann wohl dein Problem.«
Sie ist wirklich gut, dachte ich und stand auf. »Nein, es ist dein Problem.«
»In meinem Rucksack ist nichts als ein Haufen Bücher«, beteuerte sie.
»Geschichtsbücher?«
»Ich schreibe morgen eine Arbeit. Oder hast du das vergessen?«
»Keineswegs.«
»Und ich muß mir noch ein paar Sachen ansehen. Wenn du also nichts dagegen hast, gehe ich jetzt …«
»Findest du nicht, du hast schon genug gelernt? Ich meine, du hast doch das ganze Wochenende über den Büchern gesessen.« Mein Ton war freundlich und versöhnlich.
»Ich möchte einfach noch mal alles durchgehen.« Sara unterstrich ihre Lüge mit einem bescheidenen kleinen
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