Am Seidenen Faden
ist alles sehr heiß.«
Ich fiel über meine Spaghetti mit Meeresfrüchten her, als hätte ich seit Wochen nichts mehr zu essen bekommen. Ich verbrannte mir die Zunge und den Gaumen. Aber solange ich den Mund voll hatte, konnte ich mich nicht in Verlegenheit bringen, sagte ich mir und ließ mir kaum Zeit zum Atmen zwischen den Bissen. Meine Zunge wurde gefühllos. Das Essen verlor allen Geschmack. Ich schob dennoch eine Gabel nach der anderen hinein, während Robert mir lächelnd zusah, offensichtlich erheitert über mein Unbehagen.
»Soll ich vielleicht so tun als ob?« fragte er nach einer langen Pause.
»Warum nicht? Frauen tun das dauernd.«
»Sprichst du aus persönlicher Erfahrung?«
»Das hab ich nicht gesagt.«
»Du hast es aber auch nicht geleugnet.«
»Ich sag ja gar nicht, daß du irgend etwas vortäuschen solltest«, entgegnete ich.
»Na, Gott sei Dank, denn das ist nicht immer möglich. Mal rein körperlich betrachtet«, fügte er überflüssigerweise hinzu, während ich ohne Erfolg dagegen kämpfte, ihn mir im Bett vorzustellen. »Der männliche Körper gehorcht den guten Vorsätzen nicht immer.«
»Ich finde, wir sollten das lassen«, sagte ich schließlich schlukkend. Die Spaghetti lagen mir wie ein Klumpen im Magen.
»Was sollten wir lassen?« fragte er.
»Ach, ich weiß auch nicht.« Ich legte meine Gabel nieder und sah ihm direkt in die Augen. »Warum erzählst du mir das alles?«
»Wahrscheinlich hab ich gehofft, du hättest ein paar leichte Lösungen für mich parat«, sagte er und lachte traurig. »McDonalds Schule der Psychiatrie. Schnell und mühelos. Über acht Milliarden Geheilte.«
»McTherapy.« Ich lachte. »Das wär doch ein guter Name für die Radiosendung.«
Wir versanken beide in Schweigen. Ich aß den Rest meiner Spaghetti.
»Also, wie macht man es?« fragte er ruhig und trank einen Schluck Wein.
»Wie macht man was?«
»Wie hält man eine Beziehung – wie sagt man doch so schön? – lebendig?«
Ich seufzte, tiefer als beabsichtigt.
»Liebst du deinen Mann?« fragte er.
»Ja«, antwortete ich schnell.
»Ihr habt also die richtige Kombination von Respekt und Toleranz und Akzeptanz des anderen?«
»Ja.« Einsilbige Antworten waren so ziemlich das einzige, wozu ich im Moment fähig war.
»Und die körperliche Anziehungskraft ist auch noch da?«
»Mein Mann ist ein sehr gutaussehender Mann.«
»Und meine Frau ist eine sehr hübsche Frau. Danach habe ich nicht gefragt.«
»Ja, ich finde meinen Mann immer noch körperlich attraktiv.«
»Und er dich auch?«
»Sagt er jedenfalls.« Wirklich? fragte ich mich. Wann hatte er es denn das letzte Mal gesagt?
»Ihr schlaft noch zusammen?«
Ich griff nach meinem Wasser, trank lange, wohl in der Hoffnung, daß ich einen Erstickungsanfall bekommen würde und aus dem Restaurant hinausgetragen werden müßte. Ich sah mich suchend im Saal um, wünschte irgendeine Ablenkung herbei – einen stolpernden Kellner, der sein Tablett fallen ließ, einen lautstarken Krach an einem Nachbartisch, eine Mutter, die ihrer Tochter einen Golfschläger an den Schädel donnerte. »Also, das geht dich wirklich nichts an.«
»Nein, natürlich geht es mich nichts an«, stimmte er zu. »Ich frage trotzdem.«
Ich bemühte mich, nicht zu lächeln, spürte, wie meine Lippen sich dennoch verzogen. »Ja, wir schlafen noch miteinander«, antwortete ich.
»Wie oft?«
»Was?«
»Du hast mich genau verstanden.«
»Ja, stimmt, und ich habe nicht die Absicht, dir eine Antwort zu geben.«
»Nicht so oft wie früher, wette ich.«
»Nach fünfundzwanzig Jahren Ehe ist das eine ziemlich risikolose Wette.«
»Und du bist damit glücklich?«
»Ich bin nicht un glücklich damit«, erwiderte ich, seine frühere Bemerkung wiederholend. War das wahr?
Er lächelte.
Warum mußte er auch immer noch so attraktiv sein wie damals? Hätte er mit den Jahren nicht dick oder kahlköpfig oder langweilig werden können? Warum mußte er immer noch so verdammt – lebendig aussehen?
»Meine Frau und ich haben seit drei Jahren nicht mehr zusammen geschlafen«, sagte er.
»Was?«
»Du hast mich genau verstanden.«
»Ja, stimmt.« Hatten wir diesen Dialog nicht schon einmal gehabt? »Ich frage mich, was du von mir hören willst.«
»Was würdest du sagen, wenn ich dein Klient wäre?«
»Hast du nicht neulich gesagt, wenn du eine Therapie bei mir machen wolltest, würdest du dir einen Termin geben lassen«, entgegnete ich in dem Bemühen, das Gespräch in
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