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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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ist.«
    Über den Tisch hinweg sah ich Robert Crowe an und suchte nach Anzeichen von Ironie in den wachen hellbraunen Augen. Ich fand keine. Ich versuchte zu lachen, aber unter der Intensität seines Blicks blieb mir das Lachen in der Kehle stecken. Nervös hob ich eine Hand zum Gesicht, senkte sie, griff über den Tisch, um mir noch ein Brötchen zu nehmen – mein drittes.
    Er legte seine Hand auf die meine. »Du wirkst ein bißchen nervös.«
    Spielte er mit mir? »Ich weiß nicht recht, wie weit ich dich ernst nehmen soll«, antwortete ich aufrichtig.
    »Und das macht dich nervös?«
    »Ich weiß gern, woran ich bin.«
    »Dann nimm mich sehr ernst«, erwiderte er und zog seine Hand weg.

    Ich war verwirrter denn je. Auf diese Art kryptischen Geplänkels hatte ich mich seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr eingelassen. Gerade das mochte ich an meinem Mann so sehr, daß ich bei ihm von Anfang an gewußt hatte, woran ich mit ihm war. Da hatte es kein ängstliches Warten auf seinen Anruf gegeben. Keine emotionalen Achterbahnfahrten. Wieso saß ich dann nicht mit meinem Mann hier, in diesem gemütlichen kleinen Restaurant in Delray Beach?
    »Das Geheimnis einer glücklichen Ehe«, wiederholte ich und versuchte zu ignorieren, wie gut Robert in seinem dunkelgrünen Anzug aussah. »Da gibt es kein Geheimnis. Das weißt du genau.«
    »Du bist seit beinahe einem Vierteljahrhundert verheiratet«, erinnerte er mich.
    »Du bist selbst seit mehr als zwanzig Jahren verheiratet», entgegnete ich.
    »Wer hat gesagt, daß ich glücklich bin?«
    Ich schwieg. Ich sah mich in dem dämmrig erleuchteten Restaurant um, das in Tönen von Burgunderrot und Pink gehalten war, und fragte mich, wo unser Essen so lange blieb. Wir saßen seit fast einer halben Stunde an diesem Ecktisch. Wir hatten bereits eine ganze Reihe von Ideen für meine sogenannte Radiosendung durchgesprochen: Ob eine tägliche Sendung von einer Stunde Dauer einer wöchentlichen zweistündigen Sendung vorzuziehen sei. Ob ich Interviews mit verschiedenen Fachleuten einbauen oder die Sendung ganz allein bestreiten würde. Ob wir uns jeweils nur auf ein Thema beschränken oder die Telefonleitungen offenhalten sollten, um die Themen von den Anrufen bestimmen zu lassen. Ob es machbar wäre, Livesitzungen zu übertragen. Oder ob man die Sitzungen lieber von Schauspielern nachspielen lassen sollte. Ob es vielleicht möglich wäre, beides zu kombinieren.
    Wir waren zu keinem festen Ergebnis gekommen. Ganz klar, daß das Konzept noch weiterer, gründlicher Erörterung bedurfte. Ganz klar, daß weitere solche Arbeitsessen notwendig werden würden.

    »Du bist nicht glücklich?« Die Frage rutschte mir heraus, ehe ich es verhindern konnte.
    »Ich bin nicht un glücklich«, spezifizierte er. »Meine Frau ist ein feiner Mensch; wir haben vier wohlgeratene Kinder, und ich verdanke ihr meinen beruflichen Erfolg. Ich schulde ihr sehr viel.«
    »Liebst du sie?« Ich wußte, daß die Frage naiv klang, vielleicht sogar banal. Aber letztlich war das die einzige Frage, auf die es wirklich ankam.
    »Definiere den Begriff Liebe.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Liebe ist für jeden etwas anderes. Ich würde mir nicht anmaßen, für dich zu sprechen.«
    »Doch, sprich für mich«, forderte er mich auf. »Na komm schon – maß es dir an.«
    Ich lächelte und ärgerte mich darüber, daß ich für seinen Charme so empfänglich war. Los, steh auf, sagte ich mir. Steh auf und sag ihm, daß du keinen Appetit hast, daß diese Idee mit der Rundfunksendung nichts als Quatsch ist, daß sein plötzliches Interesse an deinen therapeutischen Fähigkeiten dich nicht täuschen kann, daß du jetzt genauso wenig bereit bist, mit ihm zu schlafen, wie vor dreißig Jahren. Na los schon, sag es ihm. Statt dessen blieb ich sitzen und antwortete: »Ich kann dir nur sagen, was Liebe für mich ist.«
    »Bitte.«
    Ich schluckte. »Für mich setzt Liebe sich aus vielen Faktoren zusammen – Respekt und Toleranz und Akzeptanz des anderen, so wie er ist.« Ich mußte ihn ansehen, obwohl ich es nicht wollte. »Und natürlich gehört körperliche Anziehung dazu.«
    »Und was geschieht, wenn der Respekt und die Toleranz und die Akzeptanz des anderen, so wie er ist, zwar da sind, aber die körperliche Anziehung nicht mehr?«
    »Dann muß man daran arbeiten, sie zurückzugewinnen«, antwortete ich ziemlich zugeknöpft und war heilfroh, als der Kellner mit unserem Essen kam.
    »Seien Sie vorsichtig«, warnte er prophetisch. »Es

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