Am Seidenen Faden
richtige Moment. Wir waren gerade fertig«, versicherte ich ihr mit einem flauen Gefühl, als Robert uns einander vorstellte.
Brandi Crowe war eine attraktive Frau, etwa in meinem Alter. Sie war relativ klein, vielleicht einen Meter achtundfünfzig, und sie war stark geschminkt, besonders um die Augen herum, die klein und grau und völlig faltenlos waren. Sie hatten diesen leicht überraschten Eindruck, der mir schon auf ihrer Fotografie aufgefallen war. Ich ertappte mich dabei, daß ich an ihrem Haaransatz nach Spuren einer kürzlichen Operation suchte, aber ihr Haar – eine Spur zu schwarz, eine Spur zu lang – verbarg eventuelle Linien. Ihr Chanel-Kostüm hatte den gleichen pinkfarbenen Ton wie das Tischtuch.
»Du kommst gerade richtig zum Nachtisch«, sagte Robert unbefangen. Er zog ihr einen Stuhl heraus und winkte dem Kellner.
»Ich trinke einen Kaffee mit euch, wenn ihr nichts dagegen habt.« Sie lächelte mich an. »Ich habe seit Jahren keinen Nachtisch mehr gegessen. Es ist wirklich nicht fair, nicht wahr? Ich meine, man braucht sich nur Robert anzusehen. Er ißt, was er will, und nimmt nie zu. Ich hingegen brauche nur ein Dessert anzusehen …« Ihre Stimme verklang. »Ist das ein neuer Anzug?« fragte sie ihren Mann.
Er schüttelte den Kopf, aber die leichte Röte, die unerwartet sein Gesicht färbte, verriet ihn. Er hat sich also für unser Mittagessen einen neuen Anzug gekauft, dachte ich und drehte an einem Knopf meines neu gekauften rotweißen Kleides.
»Arbeiten Sie beim Sender?« fragte Brandi Crowe, nachdem der Kellner uns die Dessertkarten gebracht hatte.
»Kate ist Therapeutin«, erklärte Robert. »Ich versuche gerade, sie zu überreden, bei uns etwas zu machen.«
Brandi Crowe war verwundert. »Ach ja? Wie soll das denn aussehen?«
Wir bestellten Kaffee und Zitronencremekuchen, und Robert erklärte, was ihm vorschwebte. »McTherapy«, sagte er zum Abschluß, und ich mußte wider Willen lachen.
»Das klingt wirklich großartig«, sagte sie begeistert. »Ich würde da bestimmt zuhören.«
»Na ja, die Idee steckt noch in den Kinderschuhen«, meinte Robert.
»Es ist noch längst keine sichere Sache«, sagte ich.
Robert lächelte und sah weg.
Brandi Crowe lachte leise. Ihre Oberlippe war sehr voll, fiel mir auf, und während ich mich fragte, warum sie lachte, überlegte ich flüchtig, ob sie sich Collagen spritzen ließ.
»Wenn mein Mann sich etwas in den Kopf setzt, bekommt er es auch.« Sie lachte wieder, es ging mir zunehmend auf die Nerven. »Die Sache ist schon entschieden.« Sie neigte sich zu ihrem Mann hinüber und tätschelte seine Hand.
Ich senkte meinen Blick auf das Tischtuch aus pinkfarbenem Leinen und sah erst wieder auf, als der Duft frischen Kaffees mir
in die Nase stieg. Der Kellner schob mir ein Stück Zitronencremekuchen unter die Nase. Es war hoch und gelb und mit einer Riesenladung Schlagsahne garniert.
»Sie sind schlank«, sagte Brandi Crowe. »Sie können das essen. Wenn ich das essen würde, würde es sich gleich auf meine Hüften setzen. Ich muß schuften wie eine Wilde, um die Pfunde unten zu halten.«
»Sie sehen phantastisch aus«, sagte ich, und es war mir ernst. Auch wenn die Medien es uns immer weismachen wollen, braucht nicht jede Frau einen Meter achtzig groß und fünfundfünfzig Kilo leicht zu sein. Sofort hatte ich Sara vor Augen und fragte mich, ob sie in der Schule war, was sie wohl gerade trieb. Schlimmer als das, was ihre Mutter trieb, konnte es kaum sein, sagte ich mir.
»Das sieht köstlich aus«, bemerkte Brandi mit einem sehnsüchtigen Blick auf den Kuchen ihres Mannes. »Laß mich mal einen Bissen probieren.«
»Und was ist mit deiner Diät?«
»Du hast ja recht. Morgen früh wäre ich wütend auf mich.« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah mir zu, wie ich den Kuchen verschlang. Innerhalb von Sekunden war das ganze Stück verschwunden. Brandi Crowe sah es leicht verblüfft. »Wie ist diese Idee eigentlich entstanden?« fragte sie. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht verriet mir, daß sie anfing, an meinen Referenzen zu zweifeln.
»Tja, weißt du, ich kenne Kate aus der High-School«, antwortete Robert. Ich konnte nicht umhin, seine kühle Gelassenheit zu bewundern. Er trank seinen Kaffee und aß seinen Kuchen wie ein normaler Mensch.
»Ach wirklich? Aus Pittsburgh, meinst du?«
Ich hörte schweigend zu, während Robert von unserem zufälligen Zusammentreffen im Gericht erzählte, beobachtete die Reaktionen seiner Frau,
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