Am Seidenen Faden
Geheimnis.«
»Ich hab keine Geheimnisse«, zischte ich zähneknirschend.
Jo Lynn lächelte. »Erzähl das dem Richter«, gab sie zurück.
»Der Einspruch wird abgelehnt«, sagte der Richter gerade und schickte die Anwälte zurück auf ihre Gefechtsstationen. »Der Zeuge möge die Frage beantworten.«
»Das ist also nicht Ihr Werk?« wiederholte Howard Eaves sofort, dem Angeklagten das Foto reichend.
»Nein, Sir.«
»Und das hier?« Der Ankläger drückte Colin Friendly einen Stapel Fotografien in die Hand. »Diese Bißwunden auf Christine McDermotts Gesäß stammen nicht von Ihnen? Sie haben der kleinen Tammy Fisher nicht die Kehle durchgeschnitten?«
»Nein, Sir.«
»Dennoch fällt mir auf, daß es Ihnen schwerfällt, die Fotografien anzusehen.«
»Einspruch, Euer Ehren«, protestierte Jake Armstrong.
»Stattgegeben.«
»Ich kö-könnte so was niemals tun.« Colin Friendly sah meine Schwester direkt an. »Du mußt mir glauben, Jo Lynn.«
»Ich glaube dir, Colin.« Sämtliche Köpfe im Saal drehten sich in unsere Richtung, als meine Schwester aufstand.
»Setzen Sie sich, junge Frau«, befahl der Richter mit Donnerstimme, während rund um uns herum erregt getuschelt wurde.
»Es spielt keine Rolle, was die anderen denken«, fuhr Colin fort, »Hauptsache, du glaubst an mich.«
Die Wellen der Erregung schlugen höher. Ich hielt unwillkürlich den Atem an. O Gott, dachte ich, laß das alles nur einen bösen Traum sein.
»Ich liebe dich, Jo Lynn«, sagte Colin Friendly laut, um den zunehmenden Lärm zu übertönen. »Ich möchte dich heiraten.«
»Ruhe im Saal«, donnerte Richter Kellner.
»Ich liebe dich auch«, rief meine Schwester. »Nichts wünsche ich mir mehr, als deine Frau zu werden.«
Jetzt brach die Hölle los, lautes Gelächter mischte sich mit Pfiffen und Geschrei, Reporter rannten zur Tür, alle waren plötzlich auf den Beinen.
»Setzen Sie sich endlich«, befahl der Richter meiner Schwester, »sonst lasse ich Sie wegen Mißachtung des Gerichts des Saals verweisen.«
»Auch das noch«, murmelte ich. Mir war übel.
Im nächsten Augenblick drängte ich mich an meiner Schwester vorbei in den Gang und rannte aus dem Saal.
»Wir machen eine halbe Stunde Pause«, hörte ich den Richter verkünden, als ich das düstere kleine Vorzimmer erreicht hatte.
»Komm, Kate«, rief mir jemand zu. »Hier entlang.« Eine Hand zog mich in den Korridor hinaus und führte mich in die Sicherheit eines leeren Raums nebenan.
»O Gott!« rief ich, so sehr außer mir, daß ich kaum atmen konnte. »Warst du drinnen? Hast du das gesehen?«
»Ja«, antwortete Robert.
»Hast du gesehen, was sie getan haben? Hast du gehört, was sie gesagt haben?«
Er nahm mich bei den Schultern. »Kate, beruhige dich doch.«
»Sie hat diesem Ungeheuer tatsächlich gesagt, daß sie ihn heiraten will. Mitten im Gerichtssaal ist meine Schwester aufgestanden und hat der ganzen Welt mitgeteilt, daß sie einen Verrückten liebt und ihn heiraten will.«
»Kate, das ist doch alles nicht so schlimm. Das wird schon wieder.«
Ich schluchzte jetzt. »Warum tut sie das, Robert? Was will sie denn beweisen? Geht es ihr um die Publicity? Will sie unbedingt der große Star sein? Will sie ihr Foto auf der Titelseite vom National Enquirer sehen? Was ist nur los mit ihr?«
Er nahm mich in die Arme. »Ich weiß nicht, was für ein Problem sie hat, aber du darfst dich davon nicht niedermachen lassen.«
»Du glaubst doch nicht, daß sie diesen grauenvollen Kerl wirklich heiraten wird? Ich meine, du glaubst doch nicht, daß die Geschworenen ihn freisprechen werden? Daß er womöglich auf freien Fuß gesetzt wird.«
»Meiner Ansicht nach besteht da nicht die geringste Chance.«
»Sterben soll er«, rief ich weinend. »Sterben soll er und endlich aus unserem Leben verschwinden.«
»Sch«, sagte Robert tröstend, als ich mein Gesicht an seine Brust drückte. »Reg dich nicht auf. Es ist ja bald vorbei.«
Er hielt mich fest an sich gedrückt und streichelte mir mit einer Hand übers Haar, als wäre ich ein kleines Kind, das sich das Knie aufgeschlagen hatte und getröstet werden mußte. Ich klammerte mich an ihn, als hätte ich Angst zu ertrinken, als könnte nur er mich über Wasser halten. Sein Mund berührte meine Wangen, er küßte meine Tränen weg, versicherte mir ohne Worte, daß alles gut werden würde, daß er da sei, um dafür zu sorgen, daß mir nie wieder etwas Schlimmes geschehen würde.
Und dann küßte er mich, küßte mich
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