Am Seidenen Faden
zu einem höhnischen Lächeln. Frech zwinkerte er meiner Schwester zu, dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück, als hätte er gerade die Oberhand gewonnen.
»Wie erklären Sie die weitgehende Übereinstimmung der Speichelproben?«
»Es ist nicht meine Aufgabe, irgendwas zu erklären, Mr. Eaves.«
»Aber wenn Sie eine Vermutung anstellten sollten…«
»Dann würde ich sagen, daß da offensichtlich jemand einen Fehler gemacht hat.«
»Ich sage, diese Person sind Sie, Mr. Friendly.«
»Ich sage, diese Person sind Sie, Mr. Eaves«, gab Friendly prompt zurück.
Ein Raunen der Erregung lief durch den Gerichtssaal.
»Sie glauben, klüger zu sein als ich, nicht wahr, Mr. Friendly?«
»Über die Frage habe ich noch gar nicht nachgedacht, Mr. Eaves.«
»Sie halten sich für klüger als die meisten, ist das nicht richtig?«
»Die meisten sind auch nicht sehr klug«, antwortete Friendly, der offensichtlich begann, sich zu amüsieren.
»Und es macht Spaß, sie reinzulegen, nicht wahr?«
»Das müssen gerade Sie mir sagen, Mr. Eaves. Sie sind doch, wie mir scheint, derjenige, der hier jemanden reinlegen möchte.«
»Es ist ein großartiges Gefühl, die Macht über Leben und Tod eines anderen zu haben, nicht wahr, Mr. Friendly?«
»Sie sind hier derjenige, der solche Macht hat, Sir, nicht ich.«
»Nein. Diese Macht liegt bei den Geschworenen.«
»Dann kann ich nur hoffen, daß ihnen mehr an der Wahrheit liegt als Ihnen, Sir«, versetzte Friendly kühl.
»Und was ist die Wahrheit?«
»Daß ich nicht schuldig bin, Sir.«
Jo Lynn neigte sich zu mir. »Er ist sehr höflich, findest du nicht auch?«
»Ja, sehr höflich«, stimmte ich zu, viel zu benommen, um etwas anderes zu sagen.
Der Ankläger hielt Colin Friendly ein großes Farbfoto einer der toten Frauen unter die Nase. »Das haben Sie nicht getan?«
Jake Armstrong fuhr in die Höhe. »Einspruch, Euer Ehren. Das ist völlig überflüssig. Der Zeuge hat die Frage bereits beantwortet.«
»Abgelehnt.«
»Euer Ehren«, sagte Armstrong, »dürfen wir zu Ihnen kommen?«
Die beiden Widersacher traten zum Richtertisch.
»Dieser verdammte Eaves«, flüsterte Jo Lynn. »Der schreckt doch vor nichts zurück, nur um einen Schuldspruch zu erreichen.« Sie schlug erst das rechte Bein über das linke, dann das linke über das rechte, die Zipfel ihres Rocks fielen auseinander und enthüllten erst den einen Oberschenkel, dann den anderen.
»Aber ich glaube nicht, daß die Geschworenen sich davon beeindrucken lassen. Siehst du die Frau da, die in der Mitte in der zweiten Reihe, ich glaube, die ist auf unserer Seite.«
Ich richtete meinen Blick auf die Geschworene in der Mitte der zweiten Reihe. Sie war jünger als die anderen, vielleicht dreißig, mit heller Haut und ungepflegtem blonden Haar, das dem Durchschnittsgesicht auch keine besondere Note gab. Mir wurde bewußt, daß sie mir vorher noch nie aufgefallen war, und ich fragte mich, ob dieses Nicht-bemerkt-Werden etwas war, an das sie sich gewöhnt hatte. War sie der Typ Frau, der sich von einem Kerl wie Colin Friendly einwickeln ließ? Sah sie in diesem Prozeß ihre Chance, endlich einmal ins Rampenlicht zu treten, sich fünfzehn Minuten Ruhm zu sichern, die Aufmerksamkeit der ganzen Nation auf sich zu lenken, indem sie als einzige auf Freispruch bestand? Würde sie mit ihrer Hartnäckigkeit einen neuen Strafprozeß erzwingen?
Mich schauderte. An die Möglichkeit, daß die Geschworenen sich nicht auf einen Spruch einigen könnten, hatte ich bisher noch nicht gedacht. Mir war plötzlich sehr beklommen zumute. Warum hatten die forensischen Beweise nicht absolut eindeutig sein können? ›Fast zählt nicht‹, hörte ich Colin Friendlys Stimme. Ein einziges ›Nicht schuldig‹ genügte. Und was dann? Ein neuer Prozeß? Weitere Monate des Kummers und der Qual für die Angehörigen und Freunde der Opfer? Weitere Monate grausiger Presseberichte? Und meine Schwester weiterhin beständig zwischen Gerichtssaal und Gefängnisbesucherraum? Ich seufzte tief. Noch einmal würde ich das nicht durchstehen.
»Ist was?« fragte Jo Lynn und ließ ihren Blick kurz durch den Saal wandern.
»Es ist heiß hier drinnen.«
»Nein, überhaupt nicht. Dir ist nur heiß, weil dein Freund hier ist.«
»Was?« Ich fuhr herum. Robert lächelte mich von seinem Platz weiter hinten im Saal an. O Gott, dachte ich, als mir prompt der Schweiß auf die Stirn trat. Wann war er gekommen?
»Reg dich ab. Kein Mensch verrät dein kleines
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