Am Seidenen Faden
mich seit dem letzten Desaster nicht mehr angerührt. Er wartete natürlich darauf, daß ich die Initiative ergreifen würde, ihn in die Arme nehmen und versuchen würde, seine Leidenschaft zu schüren, aber irgendwie fehlte es mir am nötigen Enthusiasmus. Ich legte mich wieder hin, atmete einmal tief durch und schloß die Augen.
Beinahe augenblicklich tänzelte irgend etwas leichtfüßig über meine geschlossenen Lider. Eine Spinne? fragte ich mich und schüttelte den Kopf, um das Ding zu verscheuchen. Wahrscheinlich eine Mücke, dachte ich, als ich mich widerstrebend zwang, die Augen wieder zu öffnen.
Er stand über mich gebeugt, ich konnte sein Lächeln in der Dunkelheit sehen, das Messer, das die Luft rund um mein Gesicht bewegte, schien in seinen Fingern zu tanzen. Ich öffnete den Mund, um zu schreien, aber er schüttelte warnend den Kopf, und der Schrei erstarb mir in der Kehle.
»Ich dachte, wir sollten ein bißchen besser miteinander bekannt werden«, sagte Colin Friendly. »Da wir ja bald zu einer Familie gehören.«
»Wie sind Sie aus dem Gefängnis rausgekommen?« hörte ich mich fragen, erstaunt, daß ich überhaupt sprechen konnte.
Sein Lächeln erhellte gespenstisch sein Gesicht. »Glaubst du im Ernst, daß ein paar Videokameras und Infrarotsensoren mich zurückhalten können?«
»Ich verstehe nicht, was Sie wollen. Was wollen Sie von mir?«
Er legte mir das Messer an die Kinnspitze. »Ich hab dir ein kleines Weihnachtsgeschenk mitgebracht.« Er packte meine Hand und führte sie zu seiner Hose.
»Nein!« schrie ich und riß meine Hand weg, als er aufs Bett stieg. Hilflos sah ich zu Larry hinüber. Was war nur los mit ihm? Warum wachte er nicht auf?
»Der kann dir nicht helfen«, sagte Colin Friendly, und der Blick seiner blauen Augen schnitt durch die Dunkelheit, so tödlich wie das Messer in seiner Hand.
»Was meinen Sie?«
»Schau ihn dir an«, sagte Colin Friendly. Mit der freien Hand griff er über das Bett, um die Decke von meinem schlafenden Mann wegzureißen. Ich sah Larrys offene Augen, seine geöffneten Lippen, die tiefrote Linie, die sich quer über seinen Hals zog.
»Nein!« schrie ich wieder, als Colin Friendly sich auf mich warf. »Nein!«
Ich fuhr im Bett hoch. Meine Schreie hallten durch das ganze Zimmer. Es war ein Wunder, daß Larry nicht erwachte.
»Es war ein Traum«, sagte ich laut zu mir selbst und drückte die Hände auf mein Herz, als könnte ich es so zur Ruhe bringen.
Larry bewegte sich, stöhnte, erwachte aber nicht.
»Ich seh mal nach den Mädchen«, sagte ich in die Dunkelheit hinein und stieg aus dem Bett.
Das Haus war finster und still. Ich lief zu den Zimmern meiner Töchter, obwohl ich wußte, daß das albern war, aber ich mußte mich vergewissern, daß sie gesund und wohlbehalten in ihren Betten schliefen. Du kannst sie nicht bis in alle Ewigkeit beschützen, sagte ich mir, als ich mich über Michelle beugte und behutsam ihre warme Stirn küßte. Im Schlaf hob sie die Hand, um meinen Kuß wegzuwischen. Genauso, wie ich es eben in meinem Alptraum getan hatte, wurde mir schaudernd bewußt. Dann stieß ich die Tür zu Saras Zimmer auf, ging auf Zehenspitzen zu ihrem Bett und beugte mich hinunter, um ihre Wange zu berühren.
Ich brauchte einen Moment, um zu erkennen, daß Saras Bett leer war. »Sara?« rief ich und lief ins Badezimmer. »Sara?« Ich knipste Licht an. Ihr Bett war unberührt.
Ich rannte in unser Schlafzimmer zurück, wollte eben Larry
wecken, als ich auf der hinteren Terrasse einen schwachen Lichtschein sah und glaubte Stimmen zu hören. Ich blieb stehen, war ganz still und lauschte dem gedämpften Klang der Stimmen, der ins Zimmer wehte.
»Sara?« Ich rannte zur Schiebetür des Wohnzimmers, schob sie auf und trat ins Freie.
Sara saß in den Kleidern, die sie den ganzen Tag über angehabt hatte, in einem der beide Liegestühle, eine brennende Zigarette in der Hand. Sie starrte mich trotzig an, als wollte sie mich herausfordern, ihr die Leviten zu lesen.
»Was tust du hier draußen?« fragte ich statt dessen.
»Was meinst du wohl?«
»Ich versteh das nicht. Es ist spät. Du weißt genau, daß du hier nicht rauchen sollst.«
»Mensch, gib dem Mädchen doch mal eine Chance«, sagte meine Schwester aus dem anderen Liegestuhl.
»Jo Lynn! Was geht hier eigentlich vor?«
»Du hast es noch nicht gehört?«
Ich schüttelte den Kopf, zu verwirrt, um etwas zu sagen.
»Eine Frau, die bei Colins Prozeß eine der Geschworenen war, hat
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