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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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in Ordnung.«
    »Was glaubst du, wer hinter ihr her war?« fragte Sara.
    »Ihr Gewissen«, sagte Jo Lynn.
    »Ihr Gewissen?« wiederholte Sara.
    »Was soll das denn heißen?« fragte ich.
    »Das heißt, daß ich jetzt einen Riesenhunger hab«, sagte Jo Lynn. »Wir fahren irgendwo mittagessen. Ich lad euch ein.«
    »Ich hab keine Zeit«, begann ich.
    »Zum Essen hat jeder Zeit«, behauptete Jo Lynn. »Was gibst du deiner Tochter überhaupt für ein Beispiel? Möchtest du vielleicht, daß sie eine von diesen magersüchtigen Kleiderständern wird?«
    Ich hielt das für unwahrscheinlich, aber ich willigte ein, mit den beiden zum Mittagessen zu fahren.
    »Wir fahren ins Einkaufszentrum«, sagte Jo Lynn, als ich auf den I-95 hinausfuhr. »Da haben wir alles zusammen. Wir können essen, Sara kann sich die Haare nachfärben lassen, und wir können noch ein paar Weihnachtseinkäufe machen.«
    »Ich nicht«, erklärte Sara. »Mama gibt mir kein Geld für Geschenke.«
    »So was Gemeines«, sagte Jo Lynn und lachte. »Denk dir nichts, Schatz, ich hab genug Geld. Du kannst kaufen, was du willst.«
    »Und woher hast du das viele Geld?« fragte ich. »Hast du eine Arbeit?«
    Jo Lynn hustete spöttisch. »Ich glaube, das willst du lieber nicht wissen«, sagte sie.

    Wahrscheinlich hatte sie recht. Ich fragte also nicht weiter nach.
    Sara jedoch ließ nicht locker. »Woher hast du das Geld?« fragte sie.
    Einen weiteren Anstoß brauchte Jo Lynn nicht. Sie beugte sich vor, legte die Arme auf die Rückenlehne des vorderen Sitzes, senkte den Kopf auf ihre Hände. »Ich hab dem Enquirer eine Exklusivstory versprochen. Sie haben mir die Hälfte des Geldes im voraus bezahlt.«
    »Eine Exklusivstory worüber?« fragte Sara, während ich versuchte, die Ohren vor dem Unvermeidlichen zu verschließen.
    Ich spürte förmlich Jo Lynns Lächeln. Es brannte mir ein Loch in den Nacken. »Eine Exklusivstory über meine Hochzeit«, sagte sie.
     
    »Was ist eigentlich nötig, um dich davon zu überzeugen, daß der Mann, den du heiraten willst, ein vielfacher Mörder ist?« fragte ich Jo Lynn, sobald Sara zum Friseur gegangen war.
    Wir saßen im vollbesetzten Restaurant der Gardens Mall, Jo Lynn bei einem Stück Apfelkuchen, ich bei meiner vierten Tasse Kaffee.
    »Gar nichts, du kannst dir also deine Worte sparen.«
    »Ist dir denn nicht klar, daß dieser Mann imstande ist, dich jederzeit umzubringen?«
    »Ist dir denn nicht klar, daß ich auf solche Kommentare wirklich keinen Wert lege?«
    »Und ich lege keinen Wert darauf, daß du meine Autorität untergräbst.«
    »Autorität? Bist du etwa die Richterin?«
    »Ich spreche nicht von Colin Friendly. Ich spreche von Sara.«
    »Moment mal!« Jo Lynn machte eine ausholende Gebärde mit ihren Händen. Ihre blutroten Fingernägel flatterten vor meinem Gesicht. »Wann hat dieser Themenwechsel denn stattgefunden?«
    »Ich habe Sara gesagt, daß ich ihr diesmal kein Geld gebe …«
    »Du schaffst es wirklich, dem Kind kein Geld zu geben, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen?« unterbrach mich Jo Lynn.

    »Das ist nicht der springende Punkt.«
    »Der springende Punkt ist, daß es mein Geld ist«, unterbrach Jo Lynn, »und wenn ich meiner Nichte etwas davon geben will, damit sie zu Weihnachten nicht mit leeren Händen dasteht, dann tu ich das auch. Sei nicht so ein Miesepeter. Sie kauft dir wahrscheinlich was ganz Tolles.«
    »Ich brauch nichts Tolles.«
    »Aber irgendwas brauchst du, das ist klar.«
    »Eine halbwegs vernünftige Familie wär ganz schön.«
    Jo Lynn schob sich ein Stück Kuchen in den Mund. »Was denkst du denn, was mit Mutter los ist?«
    »Ich hab keine Ahnung.«
    »Was vermutet die sachkundige Therapeutin denn?«
    So wie sie ›sachkundige Therapeutin‹ sagte, klang es beinahe beleidigend. Ich schloß die Augen, atmete einmal tief ein und ließ die Luft langsam wieder heraus. Als ich die Augen öffnete, bemerkte ich mehrere halbwüchsige Jungen, die uns anstarrten und hinter vorgehaltenen Händen kicherten.
    »Meinst du, es könnte Alzheimer sein?« fragte Jo Lynn.
    Ich hatte diese Möglichkeit bisher weit von mir gewiesen, und selbst jetzt zog ich sie nur höchst widerstrebend in Betracht.
    »Die Symptome sind alle da«, fuhr Jo Lynn fort. »Sie ist verwirrt; sie leidet an Verfolgungswahn; sie ist vergeßlich.«
    »Das heißt noch lange nicht …«
    »Du hast selbst gesagt, sie sei völlig daneben, als wir das Geschirrspülmittel im Kühlschrank fanden.«
    »Trotzdem …«
    »Sie hat Sara nicht

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