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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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seinen Koliken nächtelang wach gehalten hatte (und wir zu erschöpft und zu verwirrt waren, um miteinander zu schlafen); die Monate vor unserem Umzug nach Palm Beach, als wir uns bemühten, unsere Familien und uns selbst von der Richtigkeit unserer Entscheidung zu überzeugen (und wir zu erschöpft und zu verwirrt waren, um miteinander zu schlafen); die Wochen, die dem Umzug erst meiner Mutter und dann meiner Schwester nach Florida folgten, als wir uns damit abrackerten, ihnen zu helfen, hier Fuß zu fassen (und wir zu erschöpft und zu verwirrt waren, um miteinander zu schlafen). Gab es da ein Muster? Und schliefen wir nur deshalb nicht miteinander, weil wir zu erschöpft und zu verwirrt waren, oder hatten Erschöpfung und Verwirrung von uns Besitz ergriffen, weil wir aufgehört hatten, miteinander zu schlafen? Lief denn letztendlich alles auf Sex hinaus? Ganz gleich, wie alt wir waren?
    Im Grunde ändert sich nie etwas, dachte ich. Wir sind die, die wir waren. Unsere Vergangenheit ist ein Teil von uns, unsere Persönlichkeit hängt uns an wie eine chronische Krankheit. Wir brauchen gar nicht über die Schulter zu sehen. Die Vergangenheit ist direkt vor unseren Augen, errichtet Straßensperren, blockiert den Weg zu einer glücklichen Zukunft.
    Meine Gedanken eilten mehr als dreißig Jahre zurück. Zu einem anderen Auto, das im Regen stand. Auf einem verlassenen Stück Landstraße, nicht an einem zugeparkten Straßenrand. Robert und ich auf dem vorderen Sitz des schwarzen Buicks seines Vaters, seine Lippen auf den meinen, seine Zunge tief in meinem Mund, seine Hände auf der Suche nach meinen Brüsten. »Sag ja«, flüsterte er, und nochmals, drängender: »Bitte, sag ja.«
    Und ich hätte ja sagen können. Ich war so nahe dran. Warum nicht? schrie ich mein Gewissen lautlos an. Robert war der Junge, den alle Mädchen anschwärmten, und er war in mich verliebt. Ich hatte die Gerüchte über Sandra Lyons gehört, das Mädchen, mit dem er sich manchmal traf, nachdem er mich nach Hause gefahren
hatte. Trieb ich ihn ihr in die Arme? Wollte ich ihn verlieren? Alle meine Freundinnen taten es doch. Was konnte daran so schlecht sein?
    Ich ließ es zu, daß seine Hand höher kroch. Ich hielt den Atem an. Es war so ein wunderbares Gefühl. Ich war so nahe daran. »Sag ja«, sagte er wieder.
    Und dann plötzlich dieses erschreckende Klopfen am Fenster. Der Strahl einer Taschenlampe, die in unsere Gesichter leuchtete, zwei fremde Gesichter, die hereinspähten. Wir fuhren auseinander, zogen unsere Kleider zurecht, versuchten, unsere Fassung wiederzuerlangen. Wir hatten genug Gruselgeschichten von jungen Liebespaaren gehört, die überfallen worden waren. Von Dieben, von Mördern, von Ungeheuern mit todbringenden Haken anstelle von Händen.
    »Alles in Ordnung?« fragte mich ein uniformierter Polizeibeamter, als Robert das Autofenster herunterkurbelte.
    Ich nickte, zu erschrocken, um einen Ton herauszubringen.
    »Sollen wir Sie nach Hause fahren, Miss?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Das ist hier kein sehr sicherer Ort«, sagte der zweite Polizeibeamte zu Robert.
    »Nein, Sir«, stimmte Robert zu.
    »Ich würde diese junge Dame nach Hause fahren, wenn ich Sie wäre.«
    »Sofort«, sagte Robert und ließ den Motor an.
    »Fahren Sie vorsichtig«, riet uns der Beamte noch und schlug mit der flachen Hand auf das Verdeck des Wagens, als wir losfuhren.
    »Was meinst du?« fragte Larry jetzt, und seine Stimme holte mich in die Gegenwart zurück.
    »Bitte?«
    »Ich sagte, es sieht nicht so aus, als ob es so schnell aufhören wird.«
    Ich starrte in den Regen hinaus, der auf die Windschutzscheibe prasselte, und wurde mir gleichzeitig des hämmernden Schlags
meines Herzens bewußt. Er hatte recht. Es regnete noch genauso stark wie vorher. Ich sah auf meine Uhr. Es war zehn nach acht.
    »Sollen wir einfach losrennen?«
    »Warten wir noch ein paar Sekunden«, sagte ich. Was taten wir hier überhaupt? ›Das ist hier kein sehr sicherer Ort.‹ Welcher Teufel hat mich eigentlich geritten, als ich zu diesem Abendessen mit meinem möglichen Liebhaber und seiner Frau zugesagt hatte? Hatte ich überhaupt eine Wahl gehabt? »Sagen Sie einen Tag, irgendeinen Tag«, hatte Brandi in der vergangenen Woche am Telefon gesagt. Was hätte ich darauf erwidern können? Und wann hatte ich angefangen, an Robert als meinen möglichen Liebhaber zu denken?
    Wahrscheinlich zur selben Zeit, als ich zu dem Schluß gekommen war, meine Ehe sei unglücklich, dachte ich

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