Am Seidenen Faden
er würde mich ansehen und lächeln, mir ein Zeichen geben, daß er auf meiner Seite war und nicht zulassen würde, daß ich eine Dummheit machte.
War er denn dafür verantwortlich, wenn ich Dummheiten machte?
Ich hätte ihm sagen sollen, wie gut er aussieht, bevor wir gegangen sind, dachte ich. »Sagen Sie Ihrem Partner jeden Tag etwas Nettes«, riet ich stets meinen Klienten. »Das wird Ihr Leben verändern.« Aber ich war zu sehr damit beschäftigt, mir zu überlegen, wie ich mein Leben auf andere Weise ändern konnte.
»Du siehst toll aus in Schwarz«, fuhr Robert fort.
»Danke«, murmelte ich, und dann kam auch schon der Kellner, um unsere Getränkebestellungen entgegenzunehmen.
»Ganz schön was los hier, nicht wahr?« Brandi Crowe wies mit dem Kopf zur Bar. »Sie hätten mal erleben sollen, wie es war, kurz bevor Sie kamen. Da war ein junger Mann mit einem kleinen Mädchen hier. Sie war vielleicht drei Jahre alt, und ich hörte, wie er zwei Frauen erzählte, er sei ihr Onkel, und die beiden machten natürlich sofort einen Riesenwirbel um die Kleine …«
»Um gleich zu zeigen, was für gute Mütter sie sind«, meinte Robert scherzhaft.
»Und prompt hatte er die Telefonnummern der beiden Frauen, und die kümmerten sich um seine Nichte, während er angeblich zur Toilette wollte. In Wirklichkeit verzog er sich klammheimlich mit der dritten Schönen. Es war erstaunlich.«
»Ja, es war eine tolle Vorstellung«, stimmte Robert zu.
»Die Kleine ist wahrscheinlich nicht einmal seine Nichte.« Brandi lachte. »Er leiht sie sich vermutlich von den Nachbarn aus, um Frauen kennenzulernen.«
»So was könnte ich auch getan haben«, bemerkte Robert.
»Ich bezweifle, daß das nötig gewesen wäre«, hörte ich mich sagen und hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen.
Brandi tätschelte ihrem Mann die Hand, und mein ganzer Körper geriet in Aufruhr bei dieser zärtlichen Geste. »Ja, ich hab schon gehört, daß mein Mann in seiner Jugend ein richtiger Ladykiller war. Sie müssen uns alles über ihn erzählen.«
»So gut hab ich Ihren Mann leider nicht gekannt«, log ich, da ich mir ziemlich sicher war, daß Robert seiner Frau Näheres über unsere frühere Beziehung erzählt hatte.
»Na, Sie haben offensichtlich einen starken Eindruck bei ihm hinterlassen, wenn er sich nach dreißig Jahren noch an Sie erinnert hat.«
»Ich hab mich an ihn erinnert«, erwiderte ich.
»Ein toller Zufall eigentlich, daß ihr euch da bei Gericht begegnet seid«, meinte Brandi.
»Und was sagt ihr dazu, daß der Kerl auf den elektrischen Stuhl geschickt wird?« fragte Robert, geschickt das Thema wechselnd.
»Mich freut’s«, antwortete ich aufrichtig.
»Wie hat deine Schwester es aufgenommen?«
»Wie zu erwarten.«
»Ihre Schwester?« fragte Brandi.
»Jo Lynn Baker«, antwortete ich in der Annahme, das wäre Erklärung genug.
So war es auch. »Oh, mein Gott«, flüsterte sie, dann warf sie ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu. »Das hast du mir gar nicht erzählt.«
Der Kellner kam mit unseren Getränken und der Speisekarte, das Gespräch wandte sich wieder dem Wetter zu, dann dem Sport und den Freuden des Lebens in Südflorida. Ich heuchelte Interesse an dem Geplänkel, trug wahrscheinlich sogar meinen Teil dazu bei, aber in Gedanken war ich ganz woanders. Ich war in Jo Lynns unordentlicher kleiner Wohnung, in der ich den größten Teil des Morgens damit zugebracht hatte, mir ihr hysterisches Wüten über ein Rechtssystem anzuhören, das auf so herzlose Weise einen Menschen für Verbrechen, die er nicht begangen hatte, zum Tode verurteilen konnte.
»Wie konnten sie nur?« rief sie immer wieder schluchzend, und die Wimperntusche verschmierte ihr verquollenes, ungewaschenes Gesicht. Sie hatte praktisch ununterbrochen geweint, seit am vergangenen Nachmittag das Urteil verkündet worden war und der Richter Colin Friendly in das Staatsgefängnis in Starke überstellt hatte, wo er bis zu seiner Hinrichtung bleiben sollte. »Natürlich gehen seine Anwälte in die Berufung.«
Ich hielt sie in den Armen, während sie weinte, sprach wenig. Ich war nicht gekommen, um mich an ihrem Schmerz zu weiden. Colin Friendly war schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt worden, und meine Schwester, wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der auf diese Möglichkeit nicht vorbereitet gewesen war, litt Qualen. Warum sie sich in diese Lage gebracht
hatte, wie es ihr möglich war, einen solchen Mann zu lieben, warum sie sich zu
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