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Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Titel: Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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bewegte, würden wir ja alle noch auf den Bäumen hocken und darauf warten, in kuschelige Höhlen umzuziehen. Auch das Rad wäre noch nicht erfunden, geschweige denn der Schnellkochtopf oder Pommes mit Majo. Zweifellos hat sich im Verlauf der Zeit viel geändert, manches gar zum Guten. Wir wohnen heute ebenso komfortabel wie einst die Höhlenmenschen, das Rad ist da, auch die Gabel, der Reißverschluss und das Handy. Geht man aber nicht in die Urzeiten zurück und betrachtet eher überschaubare Zeiträume, wird rasch klar, dass vieles im Leben doch so bleibt, wie es immer war. In einer 60 Jahre alten Zeitung, die beim Renovieren aus dem Nebel von vorvorgestern auftauchte, stellte ich fest, dass Preissteigerungen am laufenden Band wirklich ein ganz alter Hut sind. Im August des Jahres 1948 wurden auf dem Erlanger Wochenmarkt von aufgebrachten Hausfrauen Obstkörbe umgeschmissen und die Händler mit Äpfeln und Tomaten beworfen. Der Preise wegen. In Oldenburg wurden Händler verprügelt, weil sie für ein Ei 50 Pfennig forderten. Die Verbraucher waren der Meinung, dass sie eine staatliche Preisüberwachung brauchten, um nicht von den Kosten aufgefressen zu werden. 4000 unzufriedenen Kunden aus Kulmbach taten ihren Unwillen auf dem Marktplatz durch Transparente kund. Vieles von gestern erscheint mir bekannt: In New York werden Spezialkurse für junge Väter eröffnet, damit sie das Baden und Wickeln von Säuglingen erlernen, ein Scheidungsanwalt hat herausgefunden, dass schönen Frauen kein dauerhaftes Glück in der Ehe beschieden ist. Friseure empfehlen Pflegemittel, damit ihre Kundinnen keinen Kummer mit stumpfem Haar haben. Auf der Wetterfront kommt es zu einzelnen Gewittern, und Frauen diskutieren, ob sie ein Kind auf natürlichem Weg oder per Kaiserschnitt bekommen sollen. Gibt uns das Wissen, dass die Dinge so bleiben, wie sie waren, die Sicherheit, nach der wir uns ein Leben lang sehnen? Oder ist dies alles nur einer der vielen Beweise, dass die Rede von den Zeiten und Menschen, die sich immerzu ändern, eine Erfindung der Philosophen ist?

Kürbis macht Karriere
    Die dickbäuchigen Gesellen, die aus der Farbe Gelb einen Herbstrausch machen, liegen jetzt wieder zwischen Tomaten, Kartoffeln und Paprika. Bei den meisten bedingt ihre Figur, dass sie nur in Einzelteilen nach Hause getragen werden können. Ohne ordentliche Messer für den finalen Schnitt sind sie ein totaler Fehlkauf. Vom Kürbis ist die Rede. Frau Henriette Davidis, deren Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche erstmals 1844 erschien und die man heute noch mit Gewinn zu Rate ziehen kann, pries schon damals den mit Essig, Zucker, Pfeffer und Muskat eingemachten Kürbis als wohlfeil und empfahl ihn zu Suppenfleisch und Kartoffeln. Jedoch galt der wuchtige Kerl mit der harten Schale lange Zeit als Armerleutekost. Auf der Tafel standesbewusster Bürger wurde er selten gesichtet. Das änderte sich erst im Steckrübenwinter 1917.
    Die Hungerjahre von 1945 bis 1948, als nur Menschen mit eigener Scholle und geeigneter Tauschware in Form von Familiensilber oder amerikanischen Zigaretten an Obst und Gemüse kamen, sorgten für seine endgültige Rehabilitierung. Die Einnahme von Kürbissuppe und einem wie Kleister schmeckenden Kürbisbrei, der von der Frau des Hauses wahlweise als Marmelade oder Fleischersatz aufgetischt wurde, galt nicht mehr als beschämend, sondern als lebenserhaltend. Wer Steckrübenkaffee in der Tasse hatte, empfand den Kürbis auf dem Teller gar als Freund.
    Seitdem hat der Wonnekloß eine unglaubliche Karriere gemacht. Auf den Wochenmärkten im ganzen Land leuchten Kürbisse; preisgekrönte, mit Sternen bekränzte Köche werden nicht müde, den Gourmets und solchen, die sich dafür halten, neue Rezepte zu liefern. Kürbisse gibt es gefüllt und gebacken, frittiert, immer noch süßsauer, auf der Pizza, in der Pasta, als Suppe, in Stollen, im Gewürzbrot, Senf und Ketchup. Von Kürbisbowle schwärmt der Kenner. Man kann ihn auch aus Wollresten stricken und in Kreativkursen modellieren. Wenn wir im Oktober das neudeutsche Fest Halloween feiern, wird er ausgehöhlt und mit dem Schnitzmesser bearbeitet. Dann grinst er monstergefährlich im Kerzenschein, und selbst Hexen bekommen Bauchschmerzen. Wahrscheinlich weil wir ständig auf der Suche nach der guten alten Zeit sind, kamen die Küchenweisen erst auf die Idee, Kürbis als eine Delikatesse auszugeben. Ich wage Widerspruch. Für mich, die ich in übelster Hungerzeit

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